Julia Extra Band 356 - Ebook
war eine Frau, und Frauen waren schwach. Ihre Gefühle machten sie schwach, wie sie auch seine Mutter schwach gemacht hatten. Er war anders! Doch warum musste er dann ausgerechnet jetzt an die gemeinsamen Tage in St. Petersburg denken? Warum ließ er zu, dass diese Erinnerungen ihn jetzt schwächten? Es war ihre Schuld. Es war ein Fehler gewesen, sie so nah an sich heranzulassen.
„Alena hat Sie mir gegenüber bisher noch nicht einmal erwähnt, geschweige denn mir gesagt, sie würde Sie lieben.“ Vasiliis Ton war sachlich, sein unterdrückter Ärger jedoch unüberhörbar.
„Ich habe sie darum gebeten, Ihnen nichts zu sagen.“ Kiryl zuckte mit den Schultern. „Sie sind ein erfolgreicher Geschäftsmann, der sich in einer harten Branche durchgesetzt hat. Ich konkurriere mit Ihnen um diesen Auftrag, und ich gehe davon aus, dass Sie Informationen über mich gesammelt haben. Sie kennen wahrscheinlich meine Geschichte.“
„Ich weiß, dass Ihr Vater einer der korruptesten Männer Russlands war. Und dass Ihre Mutter …“
„Eine Zigeunerin war, die von meinem Vater verachtet wurde. Ja, das stimmt. Er hat mich von Anfang an abgelehnt, meine Existenz war ihm verhasst. Er konnte die Herkunft meiner Mutter einfach nicht akzeptieren, und das geht vielen Leuten heute noch so. Sie hingegen kommen aus den besten Kreisen. Ihre Mutter war eine Prinzessin, und Sie haben den Ruf, ein stolzer Mann zu sein. Manche sagen auch, ein arroganter Mann.“
„Ob Sie es glauben oder nicht, dasselbe wird von Ihnen behauptet.“
„Ich bin in der Tat stolz auf das, was ich selbst erreicht habe – nicht auf das, was mir meine Vorväter hinterlassen haben. Aber dieser Stolz macht mich der Realität gegenüber nicht blind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihnen gefallen würde, wenn bekannt wird, dass Alena meine Geliebte ist. Eine Geliebte, die ich verstoßen werde. Dafür ist sie Ihnen viel zu wichtig.“
Kiryl biss sich auf die Lippen. Er wusste, was als Nächstes kommen musste. Er würde Vasilii sagen, dass Alena sich ihm vollständig hingegeben hatte. Doch etwas hielt ihn zurück. Etwas, das er nicht benennen konnte, verhinderte, dass er Alena so preisgab. Fast, als wolle er sie beschützen. Er brachte es einfach nicht fertig, sie zu verraten.
Aber offenkundig hatte Vasilii die Situation bereits erfasst. „Sie und Alena sind ein Liebespaar?“
„Ja, ich war mit ihr im Bett.“
Die harten kalten Worte sollten Distanz zu einem anderen Teil in ihm schaffen, der bei dem Wort „Liebespaar“ zusammengezuckt war, da er deutlich spürte, wie angemessen der Begriff eigentlich war angesichts der Intimität, die Alena und er miteinander erlebt hatten. Aber er hatte sich getäuscht. Statt Distanz verspürte er nichts als tiefen Schmerz. Als sein Vater ihn damals verstoßen hatte, war das ähnlich grausam gewesen. Doch jetzt war er es, der Alena verstieß. Warum sollte er selbst darüber Schmerz empfinden?
Alena stand immer noch regungslos hinter der Tür. Warum tat Kiryl ihr das an? Sie konnte noch immer nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Doch es war die bittere Wahrheit. Sie hatte das Gefühl, als habe ihr jemand einen Dolch in die Brust gerammt und drehe ihn langsam in der Wunde um.
Wütend, dass er sich so von seinen Gefühlen bestimmen ließ, riss sich Kiryl am Riemen. Es war Zeit für sein Ultimatum. „Bis jetzt wissen nur Alena, Sie und ich von dieser Beziehung. Sie sind ein intelligenter Mann. Ich muss Ihnen bestimmt nicht sagen, dass Alena gesellschaftlich völlig das Gesicht verliert, sobald bekannt wird, dass sie meine Geliebte ist. Deshalb mache ich Ihnen ein Angebot: Ich bin bereit, für immer aus dem Leben Ihrer Schwester zu verschwinden. Dann können Sie sie verheiraten, mit wem Sie wollen. Im Gegenzug dafür ziehen Sie Ihr Angebot für den Auftrag zurück. Dafür gebe ich Ihnen mein Wort, dass niemand von meinem Verhältnis mit ihr erfahren wird.“
Alena hatte das Gefühl, ihre Welt würde aus den Angeln gehoben. Und dann kam er: der intensivste Schmerz, den sie je erlebt hatte.
„Dieser Auftrag scheint Ihnen ja wirklich sehr wichtig zu sein“, bemerkte Vasilii spöttisch.
„Er ist das Wichtigste in meinem Leben.“ Kiryl hatte keine Hemmungen, das zuzugeben. „Wenn ich ihn bekomme, werde ich in der Lage sein, ein Imperium aufzubauen, das das meines Vaters bei Weitem übertrifft. Damit kann ich mich an ihm rächen für das, was er meiner Mutter angetan hat. Seit er mich damals verstoßen hat,
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