Julia Extra Band 362
Bügelfalten, Lackschuhe. „Das sieht man“, antwortete er sarkastisch.
„Hast du dich mit deiner Mom gestritten?“
„Sie ist nicht meine Mom, sondern meine Tante.“ Jeremy schnaubte verächtlich. „Und sie macht mir das Leben zur Hölle.“
„Weil sie darauf besteht, dass du zur Schule gehst?“
„Ja. Als ob die mir dort was beibringen würden, was ich wirklich gebrauchen kann.“ Mürrisch setzte Jeremy sich auf die Treppe. „Ich will zeichnen. Wozu brauche ich Algebra?“
„Das könnte von mir sein.“ Riley zeigte fragend auf den Platz neben dem Jungen und setzte sich zu ihm, als Jeremy zustimmend nickte. „Ich habe bei jeder Gelegenheit die Schule geschwänzt und war mit dem Direktor praktisch per Du, so oft, wie ich in sein Büro zitiert wurde.“
„Genau wie ich.“ Jeremy lachte auf.
„Einmal hatte ich ein Huhn ins Schulgebäude geschmuggelt und im dritten Stock laufen lassen, während alle Klassen über Prüfungsaufgaben schwitzten.“
Jeremy riss die Augen auf. „Nein! Wahnsinn! Und was ist dann passiert?“
„Ich bin von der Schule geflogen. Das dritte Mal.“ Riley hob Rasenschnitt auf, der beim letzten Mähen auf die Treppe gewirbelt worden war, und zupfte daran herum. „Na ja, das hat mich zur Besinnung gebracht. Und natürlich die Lektion, die meine Großmutter mir erteilt hat.“
„Deine Gran? Das muss heftig gewesen sein. Was haben denn deine Eltern gesagt?“
Riley warf das gemähte Gras Richtung Bürgersteig. „Die waren schon tot. Meine Brüder und ich sind bei unseren Großeltern aufgewachsen. Und eins kann ich dir sagen: Niemand kann einem so die Leviten lesen wie meine Großmutter.“
„Ich dachte, du kennst Tante Stace“, meinte Jeremy trocken.
„Klar.“ Riley lachte amüsiert. „Aber sie hat mich nur einmal kurz zurechtgewiesen. Sie will sicher nur dein Bestes.“
„Sicher.“ Der Junge stand auf und ließ den Blick über das heruntergekommene Viertel schweifen. „Wenn das hier das Beste ist, dann möchte ich lieber nicht wissen, was das Schlimmste ist.“
„Das wird schon wieder“, versprach Riley aufmunternd.
„Ach ja? Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch kaum. Mein Vater ist tot, meine Mutter ist drogensüchtig, und die einzige Sorge meiner Tante ist, ob ich die Englischprüfung bestehe. Du hast keine Ahnung, wie es mit mir weitergeht.“
Bevor Riley darauf reagieren konnte, stürmte Jeremy auf und davon und wurde bald von der einsetzenden Dämmerung verschluckt.
Die Haustür quietschte. Stace kam heraus und musterte Riley wütend. „Was hast du zu ihm gesagt?“
„Dass du die gemeinste Frau von ganz Boston bist.“
„Quatsch!“
„Genau.“ Er stand auf und lächelte verlegen. „Ich habe ihm gut zugeredet.“
Skeptisch zog sie eine Augenbraue hoch.
„Du kannst ihn gern fragen.“
Besorgt blickte sie in die Richtung, in die ihr Neffe verschwunden war. „Falls er zurückkommt.“
„Er kommt zurück“, antwortete Riley im Brustton der Überzeugung. Er war nämlich sicher, dass Jeremy seine Tante sehr gern hatte und dass seine Wut sich nicht gegen sie richtete. Stace schien sich große Sorgen zu machen. Erst jetzt bemerkte er die dunklen Schatten unter ihren Augen und die Sorgenfalten im Gesicht. „Übrigens würde ich gern etwas mit dir besprechen, Stace.“
„Was denn?“, fragte sie misstrauisch.
„Ich habe mir Gedanken gemacht, wie wir das Morning Glory bekannter machen können. Komm, ich lade dich zum Essen ein und …“ Siedend heiß fiel ihm ein, dass er kaum genug Geld in der Tasche hatte, um sich selbst zu ernähren. „Geht leider nicht. Ich bin pleite“, musste er zerknirscht zugeben.
„Du? Sehr witzig.“
„Leider nicht.“
Sie musterte ihn durchdringend. „Du meinst das ernst.“
„Ja.“
„Bist du wirklich pleite?“
„Wenn man von den zweihundert Dollar absieht, die ich diese Woche verdient habe, ja. Und das Geld brauche ich für die Miete.“ Für das Gästehaus, in dem er sich so einsam fühlte, dass er häufiger bei seiner Großmutter herumhing als in seinen eigenen vier Wänden.
„Egal, jetzt bin ich schon mal hier, und falls du nichts Besseres vorhast, würde ich meine Vorschläge gern mit dir besprechen. Aber du hast wahrscheinlich zu tun. Ich gehe dann mal wieder.“ In diesem Moment knurrte sein Magen laut und vernehmlich.
Stace biss sich auf die Lippe und traf eine Entscheidung. „Komm rein! Ich habe eine Lasagne im Ofen.“
„Lasagne?“ Ihm lief das Wasser im Mund
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