Julia Extra Band 362
wesentlich weniger Geld als sonst zur Verfügung, also mussten die eingenommenen Trinkgelder reichen.
Er zückte sein Handy und erreichte Alec in einer seiner Lieblingsbars und erfuhr, was für den Abend geplant war. Als Riley aufsah, während sein Vetter von der schönen Aussicht schwärmte, die er von seinem Platz aus genoss, fiel sein Blick auf Stace, die am anderen Ende des Lokals die Kaffeekanne leerte und säuberte. Selbst mit Pferdeschwanz und Schürze sah seine Kollegin bildhübsch aus. „Mir gefällt auch, was ich sehe, Alec“, sagte Riley und beendete den Anruf, bevor Alec anzügliche Witze reißen konnte.
Offenbar dachte Stace, sie wäre allein, denn sie hatte das Radio angestellt und sang mit. Sie hatte eine hübsche, klangvolle Stimme. Ausgelassen und fröhlich drehte Stace sich um ihre eigene Achse, bevor sie eine benutzte Serviette schwungvoll in den Mülleimer warf.
Wo Stace wohl ihren Feierabend verbrachte? Warum arbeitete sie ausgerechnet hier als Bedienung? Sie machte einen sehr intelligenten Eindruck und hätte sicher einen ganz anderen Job haben können. Ob es mir wohl auch gelingt, ein so glückliches Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern? überlegte er und kam näher.
Abrupt hielt sie mitten in der Bewegung inne, als sie ihn bemerkte. „Riley! Suchst du was?“
Er band sich die Schürze ab und legte sie über eine Stuhllehne. „Ich mache mich dann mal auf den Weg.“ Fast hätte er hinzugefügt „nach Hause“, aber bei der Miete, die seine Großmutter von ihm verlangte, und dem kargen Lohn, den er hier erhielt, hatte er wohl bald kein Zuhause mehr. Sicher könnte er bei einem seiner Brüder unterschlüpfen. Allerdings machte Finn gerade Urlaub, und Brody war in Afghanistan. Enge Freunde, die er hätte fragen können, hatte er nicht. Eigentlich bestand sein sogenannter Freundeskreis tatsächlich eher aus Bekannten.
Die Erkenntnis, dass er niemanden hatte, an den er sich im Notfall wenden konnte, ernüchterte ihn. Ach, irgendwas wird sich schon finden, dachte er dann optimistisch. „Bis morgen, Stace.“
„Du kannst noch nicht gehen. Wir müssen erst saubermachen.“
Riley sah sich um. Die meisten Tische waren abgeräumt, die Stühle standen ordentlich um die Tische herum. „Es sieht doch sauber aus.“
„Soso.“ Lachend drückte Stace ihm ein Wischtuch in die Hand. „Ich hebe die Salz- und Pfefferstreuer hoch, und du wischst die Tische ab. Wenn wir als Team arbeiten, sind wir schneller damit fertig. Und dann können wir uns darüber streiten, wer den Boden wischt.“
Verblüfft sah er sie an. Gleich würde sie wohl noch von ihm verlangen, die Fenster zu putzen! „Bezahlt Frank niemanden fürs Saubermachen?“
Stace lachte. „Doch: dich und mich.“
„Gönnst du dir eigentlich auch mal eine Pause?“
„Pause? Ha, ha. Dann schlaf ich sofort ein.“ Sie lachte.
Er liebte ihr Lachen. Wenn sie lachte, schien die Sonne. Im Gegensatz zu Stace, die ja ein wahres Energiebündel sein musste, fühlte er sich nach der ungewohnten Arbeit erschöpft. Und die Vorstellung, jetzt noch putzen zu müssen, ermüdete ihn erst recht. Das hatte er seit seiner Kindheit nicht mehr tun müssen. Viel lieber würde er jetzt mit Alec und Bill im irischen Pub sitzen und sich ein oder zwei Bier genehmigen.
„Tut mir leid“, sagte er daher und gab ihr den nassen Lappen zurück. „Ich habe schon was vor.“
„Du arbeitest hier, Riley. Zu deinen Aufgaben gehört nun mal auch das Saubermachen. Das kannst du nicht einfach auf mich abwälzen.“
Dieser Argumentation hatte er nichts entgegenzusetzen.
Stace hängte ihm den Lappen über eine Hand und zeigte auf einen Tisch. „Also los, an die Arbeit.“
Riley beugte sich vor und schaute ihr tief in die ausdrucksvollen grünen Augen. „Hast du nur Arbeit im Kopf? Machst du nicht mal blau, Stace?“
„Nein. Ich setze Prioritäten. Und meine momentane Priorität ist es, das Lokal zu putzen, damit ich endlich nach Hause kann.“
„Warum?“
„Warum was?“
„Warum arbeitest du ausgerechnet hier?“
„Weil mir die Arbeit hier etwas bedeutet. Sie ist zwar hart, aber sie lohnt sich.“ Verträumt ließ sie den Blick durchs Lokal schweifen. Dann riss sie sich schnell zusammen. „So, los jetzt!“ Sie ging zu dem Tisch hinüber, auf dem noch Geschirr stand, und deckte ihn ab, wobei sie einen Hit aus den Siebzigern mitsummte und sich im Rhythmus bewegte.
Plötzlich war es Riley nicht mehr so wichtig, zu Alec zu kommen. Sechs Jahre war er mit
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