Julia Extra Band 369
sich zu Rauchgrau verdunkelten. Mit der Zungenspitze fuhr sie sich sinnlich über die volle Unterlippe, und jäh durchzuckte ihn ein Speer der Lust. Was ihn überraschte. Auch wenn er sich seit der Scheidung vornehmlich auf seine Arbeit konzentriert hatte, so hatte er doch keineswegs völlig enthaltsam gelebt. Dass ausgerechnet Freya Clark mit ihrem simplen Pferdeschwanz und dem soliden Schuhwerk der Auslöser sein sollte, war schwer zu glauben.
Etwas an ihrer unerschütterlichen Ruhe und den Augen, die nichts preisgaben, rieb ihn auf. Außerdem hatte dieser alberne Lapsus, ausgerechnet von ihr, die sie ihre Gefühle doch so absolut unter Kontrolle hatte, ihn stutzig gemacht. Sie wollte unbedingt bei seinem Sohn bleiben, so viel war klar, auch wenn sie diesen Wunsch sorgsam zügelte. Genau wie alle anderen Emotionen. Welche Geheimnisse hatte sie sonst noch zu verbergen?
Er klappte die Aktenmappe zu. „Wie lange betreuen Sie Max schon?“
„Drei Jahre.“ Sie hatte sich wieder gefasst, jetzt, da sie sich auf vertrautem Gebiet befand. „Seit er drei Monate alt war.“
Seit drei Jahren, also nicht einmal ein Jahr nachdem Rosalia ihn verlassen hatte. Da musste Rosalia schon gewusst haben, dass sie schwanger war, und doch hatte sie immer das Gegenteil behauptet. „Ich hatte nie vor, ein Kind zu kriegen.“ Frische Wut flammte auf, wenn er daran dachte. Entschieden drängte er sie zurück. „Wie haben Sie meine Exfrau kennengelernt?“
„Ich antwortete auf eine Zeitungsannonce. Rosalias Englisch war nicht besonders gut, sie suchte jemanden, der Spanisch mit ihr sprach, ihrem Sohn aber auch Englisch beibrachte.“ Sie zuckte graziös mit den Schultern. „Ich besaß die Voraussetzungen.“
Die wohl eher selten zu finden waren. Rafe hatte so viele Fragen. Welche Lügen hatte Rosalia über ihn erzählt? Wie hatte sie seine Abwesenheit erklärt? Und auch Fragen zu Freya: Wieso arbeitete sie als Nanny? Wieso sprach sie fließend Spanisch? Was verbarg sie?
„Haben Sie schon vorher als Nanny gearbeitet?“ Er hätte nach Referenzen fragen sollen, bevor er sie mit nach Spanien nahm. Aber das Treffen mit seinem Sohn hatte ihn derart überwältigt, da war für den Moment alle Vorsicht vergessen. Nun, mit Max konnte er Freya wohl vertrauen. Alles andere jedoch …
Für einen Sekundenbruchteil wirkte Freya unsicher, dann fing sie sich wieder. „Bevor ich die Stellung bei Max übernahm, habe ich studiert.“
„Sie waren an der Uni?“ Rafe schätzte sie auf Ende zwanzig, schon aufgrund ihrer Selbstsicherheit. Ihre Haltung war definitiv die einer erwachsenen Frau.
„Ja. Ich habe ein Diplom in Mathematik.“
Rafe lehnte sich zurück. Die Frau steckte voller Überraschungen. Sie besaß einen akademischen Titel in Mathematik, und doch hatte sie die letzten drei Jahre als Kindermädchen gearbeitet – und schien es auch unbedingt bleiben zu wollen. „Wollen Sie nicht in Ihrem Gebiet arbeiten?“
„Nein.“
Mehr sagte sie nicht. Rafe kniff die Augen zusammen. Jetzt war er sicher, dass sie etwas verbarg. Sie schaute ihm offen ins Gesicht, die Miene völlig reglos, dennoch meinte er, so etwas wie Trotz in ihrem Blick erkennen zu können. Freya Clark verschwieg ihm etwas. Oder war er einfach nur zu misstrauisch? Die zwei Frauen, denen er sein Herz geöffnet hatte, seiner Mutter und seiner Frau, hatten ihn immer und immer wieder getäuscht. Er traute Freya nicht, nur wusste er nicht, ob der Grund bei ihm lag … oder bei ihr.
„Ein interessantes Studienfach“, sagte er schließlich. Bildete er sich nur ein, dass sie sich wieder entspannte?
„Das ist es“, erwiderte sie mit dieser kühlen, gefassten Stimme. „Aber sich um Max zu kümmern ist erfüllender.“
„In der Tat.“ Vor seinem Gesicht legte er die Fingerspitzen aneinander und musterte Freya. Sie verspannte sich wieder, er konnte es fühlen, als gäbe es eine Verbindung zwischen ihnen. Sie wollte nicht von sich sprechen, das merkte er. Als hätte sie Angst, etwas zu verraten. Aber was? „Werden Sie sich wieder der Mathematik widmen, wenn Sie hier nicht mehr gebraucht werden?“
Trauer und Schmerz flackerten durch ihre Augen, dann nahm sie sich zusammen. Vielleicht war es harsch, sie daran zu erinnern, dass ihre Anstellung irgendwann enden würde, doch das musste ihr klar sein. Freya Clark würde nicht länger bleiben als unbedingt nötig.
„Das entscheide ich“, antwortete sie ruhig, „wenn es so weit ist.“
Max rührte sich und jammerte auf.
Weitere Kostenlose Bücher