Julia Extra Band 369
gellender Schrei sie jäh aus dem Schlaf riss.
Max!
Alarmiert sprang Freya aus dem Bett und rannte zur Tür, schlitterte um die Ecke und blieb wie vom Donner gerührt auf der Schwelle zu Max’ Zimmer stehen. Rafe war bereits da.
Desorientiert starrte sie auf die Szene: Rafe strich Max beruhigend übers Haar, murmelte tröstend auf ihn ein. Max schrie weiter. Auch wenn er die Augen weit aufgerissen hatte, wusste sie, dass er nicht wach war. Seit Rosalias Tod hatte der Junge Angstzustände, und außer Zeit und Geduld hatte sie noch kein Mittel gefunden, die Albträume zu vertreiben.
„Was ist mit ihm?“, fragte Rafe leise. „Warum hört er nicht auf zu weinen? Was kann ich tun?“ Ein verzweifelter Ton schwang in seiner Stimme mit. Hilflosigkeit kannte Rafe nicht.
„Er ist nicht wirklich wach“, antwortete Freya leise. Sie ging zum Bett, setzte sich vorsichtig auf die Kante an Rafes Seite. Zu spät wurde ihr bewusst, wie spärlich bekleidet sie beide waren, Rafe nur mit kurzen Pyjamahosen, sie mit einem knappen Schlafshirt. Als ihre nackten Schenkel sich unabsichtlich berührten, überkam Freya eine Gänsehaut.
Sie beugte sich zu Max, strich ihm übers Haar, murmelte leise auf ihn ein, genau wie Rafe es getan hatte. Selbst im Schlaf schien Max ihre Stimme zu erkennen und beruhigte sich etwas. Er schrie nicht mehr, schluchzte nur noch und legte erschöpft den Kopf auf ihren Schoß.
„Jetzt ist alles wieder gut. Dir kann nicht passieren, Max“, murmelte sie. „Es ist nur ein böser Traum, er kann dir nichts anhaben …“
Der Junge hob den Kopf, richtete die leeren Augen auf Rafe und begann wieder zu schreien.
Rafe verspannte sich. „Ich gehe besser“, presste er hervor.
Max’ klägliches Weinen legte sich tatsächlich, sobald Rafe den Raum verlassen hatte. Die Ereignisse des Tages mussten sein Unterbewusstsein zutiefst aufgewühlt haben. Freya blieb sitzen, bis Max wieder in tiefen Schlaf geglitten war, deckte ihn zu und schaute nachdenklich auf ihn hinunter.
Ob Rafe wieder zu Bett gegangen war? Die Reaktion seines Sohnes hatte ihn verletzt.
Auf Zehenspitzen schlich sie zum Wohnzimmer. Rafe stand am Fenster, ein Glas Whisky in der Hand. Der Mond tauchte seinen nackten Oberkörper in silbernes Licht.
Fast hätte sie sich wieder umgedreht und wäre zurück zu ihrem Zimmer gegangen, erkannte sie doch das Risiko dieser Situation – beide spärlich bekleidet, mitten in der Nacht … Alle ihre Sinne waren plötzlich lebendig, jede Faser in ihr vibrierte. Es war so lange her, seit sie sich erlaubt hatte, etwas zu fühlen …
„Was ist mit ihm?“ Rafe wandte den Kopf zu ihr. „Sind das Albträume?“
Freya rührte sich nicht von der Stelle. „Es geht tiefer.“ Sie schluckte. „Angstzustände. Es ist schwieriger, ihn zu beruhigen, weil er nie wirklich wach wird.“
„Seine Augen waren doch offen. Er hat mich angesehen, als ob …“ Er beendete den Satz nicht, sah wieder zum Fenster hinaus.
„Das hat nichts mit Ihnen zu tun.“ Sie ging auf ihn zu, blieb abrupt stehen. Sich jetzt in Rafes Nähe zu begeben war sicherlich nicht die beste aller Ideen. „In diesem Zustand erkennt er niemanden.“
„Wie lange hat er diese Anfälle schon?“
„Bei Kindern in seinem Alter ist so etwas nicht ungewöhnlich.“ Sie wusste, sie wich aus. Warum sagte sie es nicht offen? Weil sie Rafe nicht verletzen wollte, deshalb.
Er sah auf sein Glas. „Wie lange?“
„Seit Rosalias Tod kommt es häufiger vor“, antwortete sie leise.
Rafe nickte. „Natürlich. Sie war seine Mutter.“ Er umklammerte das Glas fester. „Hat sie ihn geliebt? Hat sie mit ihm geschmust?“
Mit ihm geschmust? Es erschien ihr seltsam, dass Rafe so etwas fragen sollte. Aber sie wusste auch, dass sie ehrlich antworten musste. „Ja, sie hat ihn geliebt. Aber sie hat ihn nicht oft gesehen.“
„Wie oft?“
„Alle paar Wochen.“ Zuletzt waren die Abstände immer größer geworden. Wenn sie ehrlich war, hatte Max seine Mutter kaum gekannt.
Schock und Schmerz zeichneten sich auf Rafes Miene ab. Er sog scharf die Luft ein. „Dann sind Sie praktisch seine Mutter“, sagte er schlicht. „Wenn auch nicht seine leibliche.“
Einen Moment lang konnte sie nicht sprechen, Emotionen überwältigten sie. Sie war so froh, dass Rafe erkannte, wie wichtig sie für seinen Sohn war, und gleichzeitig fürchtete sie, dass er sie jetzt erst recht aus dem Weg haben wollte, weil sie den Aufbau der Bindung zu seinem Sohn bedrohte. Auch konnte
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