Julia Extra Band 369
Wohnung war nicht für ein Kleinkind gemacht.
Rafe musste wohl den gleichen Gedanken gehabt haben. „Wir werden so bald wie möglich nach Andalusien weiterreisen“, sagte er leise. „Mein Haus dort ist wesentlich kindgerechter.“ Er sah auf Max an seiner Brust. „Ich bringe ihn zu Bett.“
„Ja, natürlich.“
Erst als Freya allein war, wurde ihr bewusst, dass sie automatisch Spanisch miteinander gesprochen hatten. Eine Vorahnung erfasste sie. Wieder in Spanien zu sein wühlte Emotionen auf, brachte Trauer und Reue zurück – Gefühle, die sie nicht empfinden wollte.
Sie sah sich um. Verriet diese Wohnung irgendetwas über Rafe? Nein, das Apartment wirkte seelenlos und kalt – wie der Mann, den Rosalia ihr beschrieben hatte.
Er hat mich nie geliebt, ist gar nicht zu Zuneigung fähig. Wie wird er dann mit einem Kind umgehen?
Freya hatte sich die Klagen geduldig angehört, weil sie gesehen hatte, wie niedergeschlagen Rosalia gewesen war. Aber Rosalia hatte nie eine Beziehung zu ihrem Sohn gefunden, sosehr Freya sich auch bemüht hatte, die beiden zusammenzubringen. Sie wusste bis heute nicht, wie viel Schuld die andere vielleicht am eigenen Unglück trug und wie viel der Mann, der gerade im anderen Zimmer seinen Sohn fürsorglich und liebevoll zu Bett brachte.
„Er schläft tief und fest.“
Freya fuhr herum. Rafe hatte sie erschreckt. Er lehnte lässig am Türrahmen und sah abschätzend zu ihr hin.
„Oh … gut.“
„Ihr Spanisch ist auch gut. Wie kommt das? Sie sind keine Spanierin.“
Sein Gesicht lag halb im Schatten, sodass sie den Ausdruck nicht wirklich erkennen konnte. „Heißt das, so gut ist es auch wieder nicht?“ Sie überraschte sich selbst mit der spöttischen Frage. Irgendwie musste sie sich wohl für Waffenstillstand entschieden haben. Dieser Mann zeigte zu viel Wärme für Max, um ein Feind zu sein. Dennoch stellte er eine Gefahr dar.
„Nicht ganz“, gab er zu.
Im Schatten sah Freya das Lächeln um seine Mundwinkel und spürte das Flattern in ihrem Magen. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück.
„Wo haben Sie es gelernt?“
„In der Schule.“ Sie wusste, sie würde mehr erklären müssen. Irgendwann würde die Frage doch wieder aufkommen. „Und mit achtzehn habe ich zwischen Schulabschluss und Universität ein Jahr in Spanien verbracht.“
Die Worte fielen wie Bomben auf ihr Herz. Zehn Jahre war es her, zehn Jahre lang hatte sie so getan, als hätte es dieses eine Jahr nie gegeben. Und doch gab sie es jetzt vor Rafe Sandoval zu. Sie hätte sich keinen unpassenderen Menschen dafür aussuchen können.
„Ah.“ Er ließ den Blick langsam über sie wandern, doch Freya weigerte sich, auch nur die kleinste Schwäche zu zeigen. „Sie können in dem Zimmer neben Max schlafen“, sagte Rafe schließlich. „Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie irgendetwas brauchen.“
Freya nickte, und er drehte sich um, steuerte sein Zimmer im gegenüberliegenden Flügel der Wohnung an. Sie ging den Korridor entlang und lugte durch die einen Spalt offen stehende Tür in Max’ Zimmer. Er lag zusammengerollt in einem großen Doppelbett und schlief.
Im Zimmer daneben stand ihr Koffer bereits auf dem Bett, auch wenn sie niemanden gesehen hatte, der ihr Gepäck gebracht hätte. Offensichtlich gab es einen separaten Lieferanteneingang, den das Personal nutzte. Neugierig sah sie sich in dem luxuriösen Zimmer um, ging dann zur Balkontür, zog sie auf und atmete tief durch.
Mit geschlossenen Augen genoss sie die laue Nachtbrise auf der Haut. Trauer und Glücksgefühl kämpften in ihr. Sie war bei Max, was sonst konnte sie sich noch wünschen? Sie hatte doch gewusst, dass es schwierig sein würde, nach Spanien zurückzukehren. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr früheres Ich, jene unerfahrene und leicht zu verlockende Frau, wieder aufleben würde. Plötzlich wünschte sie, sie könnte die Zeit zurückdrehen und alle Fehler ungeschehen machen. Sie wünschte, sie könnte ihre Seele von den Narben befreien. Einfach nur für Max da sein. Vielleicht sogar für Rafe. Doch wäre sie dann überhaupt hier? Denn war es nicht die Gewissheit, nie ein eigenes Kind haben zu können, die sie von ihrer mathematischen Laufbahn ab- und zu Max gebracht hatte?
Müdigkeit überkam sie. Sie machte sich fürs Bett fertig und schlüpfte unter die kühlen Laken. Kaum dass ihr Kopf das Kissen berührte, war sie auch schon eingeschlafen, trotz all der Gedanken, die in ihrem Kopf rumorten.
Bis ein
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