Julia Extra Band 371
Geschäftsführung geben können. Vanessa konnte zwar gut mit Zahlen jonglieren und neue Auftraggeber gewinnen, aber über ein Talent zur Personalführung verfügte sie nicht. Da Rosie allerdings wusste, dass ihre Ratschläge auf taube Ohren stoßen würden, schwieg sie lieber.
Rosie hatte schon vor langer Zeit begriffen, dass man Menschen nicht ändern konnte. Schließlich hatte sie viele Jahre lang versucht, ihre Mutter zu ändern, hatte sie ermutigt, unterstützt, angefleht. Am Ende hatte alles nichts genützt, denn ihre Mutter wollte sich überhaupt nicht ändern. Man muss die Menschen nehmen, wie sie sind, nicht, wie man sie gern hätte, dachte Rosie, als ihr die bittere Lektion wieder in den Sinn kam. Die zahllosen Stunden fielen ihr wieder ein, in denen sie ihre Mutter davon zu überzeugen versucht hatte, die eigene Tochter großziehen zu wollen. Bei dem Gedanken an die vergebliche Liebesmühe zuckte sie innerlich zusammen: Jennifer Gray war Männern und Alkohol erheblich mehr zugetan gewesen als der eigenen Tochter, die sie nur empfangen hatte, um sich finanziell abzusichern.
„Ich hatte geglaubt, dein Vater würde mich heiraten und ich hätte für mein Lebtag ausgesorgt“, hatte ihr Jennifer einmal gestanden. „Er kam aus einer reichen Familie, entpuppte sich aber als Taugenichts.“
Im Gegensatz zu ihrer verstorbenen Mutter hielt Rosie Männer für reinste Zeitverschwendung. Die Männer, mit denen sie einmal ausgegangen war, hatten fast alle den langweiligen Hobbys Sex, Sport und Bier gefrönt. Da sie selbst an keinem dieser Zeitvertreibe sonderlich Gefallen fand und ihre knapp bemessene Freizeit lieber mit sinnvollen Dingen verbrachte, hatte sie sich schon seit Monaten gar nicht mehr mit einem Mann verabredet. Tatsächlich war sie auch nicht gerade der Typ, der sich nicht vor Verehrern retten konnte, wie Rosie reumütig zugeben musste. Sie maß knapp einen Meter zweiundfünfzig und verfügte nicht über die Kurven, die die Blicke des anderen Geschlechts auf sich ziehen. Jahrelang hatte sie gehofft, dass sie lediglich eine „Spätentwicklerin“ sei und sich weibliche Attribute noch einstellen würden. Nun war sie dreiundzwanzig Jahre alt, aber immer noch knabenhaft schlank und flach wie ein Brett.
Als sich eine widerspenstige Haarsträhne löste und über ihre Wange fiel, griff Rosie nach hinten, um den Pferdeschwanz festzuziehen. Doch das Haarband riss und sie kramte in den Taschen ihres Overalls vergeblich nach einem Ersatzband. Das lange lockige Haar fiel ihr wie ein störender Vorhang ins Gesicht, und Rosie fragte sich zum hundertsten Mal, warum sie es der Bequemlichkeit halber nicht endlich kurz schnitt. Natürlich kannte sie den Grund: Ihre Pflegemutter Beryl hatte ihr oft gesagt, dass sie wunderschönes Haar habe, und es in ihrer Kindheit begeistert gebürstet.
Für einen Moment stieg Traurigkeit in Rosie hoch, obwohl seit dem Tod von Beryl schon drei Jahre vergangen waren. Dennoch vermisste sie die warmherzige Frau immer noch. Beryl war für Rosie die Mutter gewesen, die Jennifer nie hatte sein wollen.
Alexius saß in einem Büro, das eigentlich einem seiner Assistenten gehörte, und versuchte zu arbeiten. Da er sich an dem fremden Schreibtisch nicht zurechtfand, musste er die Arbeit immer wieder unterbrechen. Alles wegen Sokrates, dachte er grimmig. Schließlich hatte er sich nur seinem Patenonkel zuliebe auf das kindische Versteckspiel eingelassen.
Als er das Geräusch eines Staubsaugers am anderen Ende der Büroetage hörte, knirschte er mit den blendend weißen Zähnen. Zumindest waren die Reinigungskräfte endlich eingetroffen, und das Spiel konnte beginnen. Und was für ein Spiel! Zum ersten Mal in seinem Leben war Alexius bis zum Äußersten angespannt, da er es normalerweise nicht nötig hatte, auf Tricks zurückzugreifen. Doch wie sollte er eine einfache Putzfrau kennenlernen, wenn er ihr als Eigentümer von STA Industries entgegentrat?
Nein, es war schlauer, sich als Angestellter seiner eigenen Firma auszugeben, und zu hoffen, dass Rosie Gray ihn nicht sofort als Alexius Stavroulakis erkennen würde. Es war unwahrscheinlich, dass sie die Wirtschaftsmagazine las, in denen regelmäßig über ihn berichtet wurde. Allerdings bestand die Möglichkeit, dass sie mit Begeisterung in den Klatschmagazinen blätterte, in denen er gelegentlich abgelichtet wurde. Je länger er darüber nachdachte, desto überzeugter war er, dass sein Plan niemals aufgehen würde.
Rosie und Zoe teilten
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