Julia Extra Band 373
Gefängnisaufenthalt in der Firma vertraulich behandeln würde. Ava konnte also darauf bauen, wie eine ganz normale Praktikantin behandelt zu werden. Sie freute sich, endlich mal wieder etwas zu leisten, statt ständig von Schuldgefühlen übermannt zu werden.
„Sie können den Kaffee für das Meeting machen. Es werden zwanzig Teilnehmer erwartet.“ Karen Harper lächelte eisig. „Sie wissen doch, wie man Kaffee macht?“
Ava nickte eifrig. Sie wollte einen guten Job machen, aber schon jetzt hatte sie den Eindruck, es Miss Harper niemals recht machen zu können.
In der kleinen Teeküche fand sie alles, was sie brauchte, und machte sich an die Arbeit.
Um Viertel vor elf schob Ava den Teewagen in den Konferenzraum. Dort hielt ein großer, überwältigend gut aussehender Mann gerade eine Ansprache an die Mitarbeiter, die um den langen Konferenztisch herum Platz genommen hatten. Die Spannung im Raum war deutlich spürbar. Es herrschte gebannte Stille. Der Mann sprach über unausweichliche Veränderungen, die jedoch nicht übers Knie gebrochen werden sollten. Entlassungen waren vorerst nicht vorgesehen. Erleichtertes Aufatmen ging durch den Raum, aber Avas Hände bebten, als sie den Kaffee für den Chef eingoss. Der leichte Akzent seiner wohlklingenden Stimme war Ava vertraut: italienisch. Das kann doch nicht Vito sein, dachte Ava benommen. So grausam konnte das Schicksal nicht sein, dass sie ausgerechnet bei der Firma einen Job bekam, deren Inhaber sie zutiefst verletzt hatte! Aber sie wusste es bereits. Sie hatte Vitos tiefe Stimme gleich wiedererkannt und hatte das Gefühl, ihr Magen flatterte, als säße sie in der Achterbahn.
Ava wagte nicht aufzublicken, als sie zum Kopfende des Tisches ging, um dem Boss seinen Kaffee zu servieren. Unterwegs passierte es: Nacheinander rutschten ihr die zu großen Schuhe von den Füßen, und als sie schließlich vor ihm stand, war sie barfuß.
Vito hatte dem Mädchen einen flüchtigen Blick zugeworfen, als es den Teewagen hereingeschoben hatte. Das kupferrote Haar war zu einem Dutt gedreht und festgesteckt. Auch das fein ziselierte Profil war Vito aufgefallen, ebenso die schmalen weißen Hände. Die zu enge Hose spannte über dem runden Po und den langen schlanken Beinen. Seltsam, die Kleine kam ihm irgendwie bekannt vor. Aber woher? Erst als sie aufsah und er in das elfenhafte Gesicht mit den blauen Augen blickte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Vito stockte der Atem. Das konnte doch nicht wahr sein! Als er ihr zuletzt begegnet war, hatte sie streichholzkurzes schwarzes Haar gehabt und war völlig traumatisiert gewesen. Er erstarrte.
Grundgütiger Himmel! dachte Ava. Es war tatsächlich Vito Barbieri. Schockiert sah sie ihn an, die Kaffeetasse in der zitternden Hand.
„Danke.“ Vito hatte sich wieder gefangen und nahm ihr geistesgegenwärtig die volle Tasse ab, während er mit seinen goldbraunen Augen ihr bleiches Gesicht fixierte.
„Das ist Ava Fitzgerald, Mr Barbieri. Unsere neue Praktikantin.“ Beflissen eilte Karen Harper herbei.
„Wir kennen uns bereits“, stieß Vito frostig hervor. „Komm nach der Konferenz zu mir, Ava! Ich möchte dich sprechen.“
Unauffällig schlüpfte sie auf dem Rückweg zum Teewagen in ihre Schuhe. Mit bewundernswerter, eiserner Selbstbeherrschung, die sie sich im Gefängnis antrainiert hatte, servierte sie den restlichen Teilnehmern des Meetings ihren Kaffee, ohne dass etwas schiefging.
Das Schicksal war wirklich grausam. Musste ausgerechnet Vito Barbieri ihr Arbeitgeber sein? Wieso gehörte AeroCarlton denn plötzlich zu seinem Konzern?
Auf der Website der Firma, die sie natürlich durchgelesen hatte, tauchte sein Name jedenfalls nicht auf. Trotzdem musste er der Boss sein. Ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft fing ja gut an! Vito hasste sie und würde sie nachher sofort an die Luft setzen. Davon war Ava überzeugt. Warum sollte er ausgerechnet die Frau beschäftigen, die seinen Bruder auf dem Gewissen hatte? Vito schien genauso schockiert über das unvermutete Wiedersehen gewesen zu sein wie sie selbst.
Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr war Vito ihr Fluch. Unbewusst strich sie sich über das Tattoo auf der linken Hüfte. Plötzlich brannte es wie Feuer, wie ein Brandmal. Aus einer Laune heraus hatte sie es sich als Teenager stechen lassen. Mit den Jungen an ihrer Schule konnte sie damals nichts anfangen. Doch als Olly sie eines Tages übers Wochenende zu sich nach Hause eingeladen hatte, war es passiert. Sie
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