Julia Extra Band 375
konnte.
„Das liegt an der Jahreszeit. Spätestens zu Ostern rennen sie dir wieder die Bude ein“, sagte Emmie flapsig.
„Wohl kaum. Außerdem stecke ich bis zum Hals in Schulden.“
Erstaunt musterte Emmie sie mit ihren veilchenblauen Augen. „Seit wann das denn?“
„Schon lange. Vor deiner Abreise musst du doch selbst gemerkt haben, dass sich kaum noch Gäste hierher verirrt haben.“
„Ich erinnere mich, dass du ein Darlehen zum Umbau des Hauses aufgenommen hast, als wir zu dir gezogen sind“, sagte Emmie.
Leider war das nur die halbe Wahrheit. Doch das behielt Kat vorerst für sich, weil sie vermeiden wollte, dass Emmie sich schuldig fühlte. Ganz offensichtlich hatte sie es schon schwer genug mit der zerbrochenen Beziehung und der Schwangerschaft.
Manche Menschen werden wirklich stiefmütterlich vom Schicksal behandelt, dachte Kat mitleidig. Die arme Emmie stand im Schatten ihrer eineiigen Zwillingsschwester, die als Supermodel weltweit gefragt war. Die zwei Minuten ältere Saffy war schon immer härter und selbstständiger gewesen als die gefühlvolle Emmie, die zudem im Alter von zwölf Jahren schwere Beinverletzungen erlitten hatte, als sie bei einer Spritztour in einem gestohlenen Auto verunglückt war. Als Emmie endlich wieder gehen konnte, humpelte sie, denn ein Bein war verkürzt. Ständig ihre perfekte Zwillingsschwester vor Augen zu haben, mit der sie immer wieder verglichen wurde, hatte Emmie so zugesetzt, dass es schließlich zu einem Bruch zwischen den Zwillingen gekommen war. Noch immer, Jahre danach, sprachen sie kaum ein Wort miteinander.
Zum Glück konnte Emmy sich inzwischen wieder völlig normal bewegen. Irgendwann hatte Kat das Elend nicht mehr mit ansehen können und einen weiteren Kredit aufgenommen, um ihrer Schwester eine Operation im Ausland zu ermöglichen, bei der das Bein verlängert wurde. Die OP war ein voller Erfolg gewesen. Nur der Kredit war immer noch nicht abbezahlt, weil Kat das Geld für die Raten nicht mehr aufbringen konnte. Die Schuldenlast wurde immer drückender. Doch das sollte Emmie nicht erfahren. Wäre Kat noch einmal mit so einer Situation konfrontiert worden, sie hätte nicht gezögert, genauso zu handeln, denn das Wohl ihrer Schwestern war ihr wichtiger als alles andere.
„Ich habe eine Idee.“ Emmie strahlte. „Du verkaufst das Ackerland, dann kannst du deine Schulden begleichen. Daran hättest du eigentlich auch selbst denken können, Kat.“
Das Land hatte Kat schon vor Jahren verkaufen müssen, weil Odette die Unterhaltszahlungen für ihre minderjährigen Töchter bald nach deren Umzug zu Kat eingestellt hatte. Außerdem war Topsy, das außergewöhnlich intelligente Nesthäkchen, in der Schule gemobbt worden, sodass Kat sich gezwungen gesehen hatte, die Kleine auf ein Internat zu schicken und irgendwie das Schulgeld aufzubringen. Zum Glück erhielt Topsy inzwischen ein Stipendium.
„Das Ackerland gehört mir schon lange nicht mehr“, antwortete Kat widerstrebend. „Und nun werde ich wohl auch das Haus verlieren.“
„Du liebe Zeit! Was hast du denn mit dem ganzen Geld gemacht?“, fragte Emmie vorwurfsvoll.
Kat ließ den Kopf hängen und schwieg. Wie sollte sie ihrer Schwester erklären, dass sie immer am Rand des Existenzminimums gelebt hatte? Vorläufig wurde sie einer Antwort enthoben, denn es klingelte an der Tür. Erleichtert stürzte Kat aus der Küche.
Ihr Nachbar Roger Packham, ein Witwer Mitte vierzig, begrüßte sie mit einem charakteristischen Nicken. „Ich will dir morgen Kaminholz bringen. Soll ich es am üblichen Platz aufstapeln?“
„Äh … ja. Herzlichen Dank.“ Seine Großzügigkeit beschämte sie. Nicht nur um sich vor dem eisigen Wind zu schützen, verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Ganz schön kalt heute, Roger“, fügte sie schnell hinzu.
„Nordwind“, erklärte er wortkarg. „Schwerer Schneefall ist angesagt. Du hast hoffentlich genug Vorräte im Haus.“
„Nein, bitte nicht noch mehr Schnee!“ Kat fröstelte in ihrem dicken Wollpullover. „Was schulde ich dir für das Holz, Roger?“
„Gar nichts.“ Roger winkte beleidigt ab. „Reine Nachbarschaftshilfe. Eine Frau wie du sollte nicht allein hier leben. Ich helfe gern.“
Kat bedankte sich noch einmal und verschwand wieder im Haus. In der Diele erhaschte sie ihr Spiegelbild und sah eine abgespannte Frau mittleren Alters vor sich, die darüber nachdenken sollte, das lange Haar schneiden zu lassen. Und dann? Wie sollte sie die Locken
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