Julia Extra Band 375
und Nacht an den Quiltdecken arbeitete, sie konnten gar nicht genug Geld einbringen, um das Haus zu retten. Jetzt half nur noch ein Wunder.
Das alte Bauernhaus zu einer Pension umzubauen, hatte ein kleines Vermögen verschlungen. Doch heutzutage verlangten die Gäste nun mal nach Zimmern mit eigenem Bad. Auch Küche und Frühstücksraum hatten erweitert und modernisiert werden müssen.
In den ersten Jahren hatte es einen wahren Gästeansturm gegeben. Es war leichtsinnig gewesen, sich auf hohe Gästezahlen zu verlassen und einen weiteren Kredit aufzunehmen, um ihre Geschwister bestmöglich unterstützen zu können. Aber Kat wollte nun mal das Beste für ihre drei Schwestern.
Leider war der stetige Besucherstrom langsam abgeebbt. Die Gäste übernachteten jetzt lieber in preiswerten Hotels oder Gasthäusern. Erschwerend kam hinzu, dass die Pension sich am Ende einer langen, einspurigen Straße befand. Seit der letzten Wirtschaftskrise hatte Kat kaum noch Reservierungen.
Eine bildhübsche Blondine mit Modelmaßen kam in einem abgetragenen Morgenmantel langsam die Treppe hinunter und unterdrückte ein Gähnen. „Der Briefträger macht entschieden zu viel Lärm“, klagte Emmie. „Du bist sicher schon seit Stunden auf. Du warst ja schon immer eine Frühaufsteherin.“
Was war ihr denn anderes übrig geblieben? Ihre Schwestern mussten rechtzeitig zur Schule gebracht werden, und die Gäste erwarteten ihr Frühstück. Doch das wollte sie Emmie jetzt nicht aufs Butterbrot schmieren, zumal ihre Schwester besserer Laune zu sein schien als vor einigen Stunden. Mitten in der Nacht hatte ein Taxi sie hier abgesetzt. Emmie hatte behauptet, zu müde für irgendwelche Erklärungen zu sein, und war gleich ins Bett gegangen.
Kat war beunruhigt über Emmies plötzliches Auftauchen. Vor sechs Monaten war ihre Schwester zu Odette nach London gezogen, um ihre Mutter näher kennenzulernen, die sie seit ihrem zwölften Lebensjahr nur selten gesehen hatte. Kat hatte es ihr nicht ausgeredet. Immerhin war Emmie inzwischen dreiundzwanzig Jahre alt und musste ja wissen, was sie tat. Gern hätte sie ihr aber die Erfahrung erspart, dass Odette stets nur an sich selbst dachte und keine Liebe und Zuneigung für ihre Töchter empfand.
„Möchtest du frühstücken?“, fragte Kat sachlich.
„Ich habe keinen Hunger, aber eine Tasse Tee wäre nicht schlecht.“ Emmie setzte sich an den Küchentisch.
„Du hast mir gefehlt“, gestand Kat, als sie den Wasserkocher einschaltete.
„Du mir auch.“ Lächelnd sah Emmie auf. „Meinen Job in der Bücherei und mein ödes Privatleben hier habe ich allerdings nicht vermisst. Entschuldige, dass ich mich so selten bei dir gemeldet habe.“
„Schon gut.“ Kat strich sich die roten Locken aus dem Gesicht und nahm zwei Teebecher aus dem Küchenschrank. Sie war zehn Jahre älter als ihre Schwester, groß und schlank, hatte den hellen Teint der Rothaarigen, smaragdgrüne Augen und sinnliche Lippen. „Ich hatte mir schon gedacht, dass du viel um die Ohren hast, und gehofft, du amüsierst dich in London.“
Emmie verzog das Gesicht. „Es war die Hölle bei Odette“, sagte sie leise.
„Das tut mir leid.“ Kat schenkte Tee ein.
„Dir war das klar, oder? Warum hast du mich nicht vorgewarnt, Kat?“ Frustriert umklammerte Emmie den Becher.
„Weil ich dachte, Mum hätte sich vielleicht zum Positiven verändert. Außerdem wollte ich, dass du dir unvoreingenommen deine eigene Meinung bildest.“
Emmie lachte sarkastisch und zählte Beispiele für Odettes Eigensucht auf. Als Kat nur verständnisvoll nickte, erklärte sie: „Jedenfalls bleibe ich jetzt hier. Außerdem … Ich bin schwanger.“
„Das ist ein Scherz, oder?“ Entsetzt musterte Kat ihre Schwester.
„Nein. Tut mir leid, ich kann es nicht ändern.“
„Und wer ist der Vater?“
„Wir sind nicht mehr zusammen, und ich möchte nicht darüber reden.“ Emmie ließ den Kopf hängen.
Natürlich machte Kat sich sofort wieder Vorwürfe, in ihrer Mutterrolle versagt zu haben.
„Bevor du weiterfragst: Ich will das Baby behalten“, erklärte Emmie trotzig.
Benommen von der unerwarteten Neuigkeit setzte Kat sich an den Tisch und fragte leise: „Und wie willst du dich und das Kind durchbringen?“
Offensichtlich hatte Emmie sich das schon genau überlegt. „Ich wohne hier und helfe dir in der Pension.“
„Wie willst du denn helfen? Es kommen ja keine Gäste mehr.“ Kat wusste, dass sie die Wahrheit nicht mehr verheimlichen
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