JULIA FESTIVAL Band 78
dachte sie und lächelte unvermittelt. Denn sie würde niemandem das Los wünschen, das ihr selbst bestimmt gewesen war. Diese grausame, furchtsame Verschrecktheit, in der sie ihre Kindheit hatte verbringen müssen.
„Ich frage mich“, sie nahm das Gespräch wieder auf, „wie sehr Sie die Gefahr noch schätzten, wenn Sie hilflos wären. Nicht nur zum Spaß, sondern ganz real.“
„Ich denke lieber an ganz andere Gefahren, Carolyn“, ließ er sich nicht beirren und musterte sie langsam und anzüglich von oben bis unten. „Wir wären sicher sehr gut zusammen.“
„Das ist ganz sicher Ansichtssache“, wies sie ihn eisig ab.
„Könnten Sie es dann vielleicht als mögliche Befriedigung sehen?“, schlug er unverschämt vor.
„Sie könnten mich niemals befriedigen!“
„Darauf kann ein Mann nicht mehr sehr viel antworten.“
Na wunderbar, dachte Carolyn erleichtert. Das bedeutete wenigstens eine Atempause. Denn abgeschlossen hatte Cliff dieses Thema ganz sicher noch nicht.
Plötzlich sprangen die Zwillinge aufgeregt hoch, und Cliff lächelte sehr herzlich. Sofort folgte Carolyn seinem Blick. Ray und Marlee hatten sich endlich an den letzten Gratulanten vorbeigearbeitet und waren nun auf direktem Weg über den Rasen hierher zur Gartenbank. Carolyn betrachtete ihre Freundin liebevoll. Marlee war eine hinreißende Braut. Das Kleid passte ausgezeichnet zu ihrem Typ und ließ sie nicht mehr ganz so zerbrechlich wirken. Ihr leicht gebräunter Teint hob sich von dem Weiß des Schleiers ab und machte so ihr feines Gesicht mit den großen blauen Augen, das heute eine ganz besondere Schönheit ausstrahlte, zum Blickfang.
Seinem Lächeln nach zu urteilen, schien Cliff Marlees Erscheinung ähnlich zu sehen. Hatte er vielleicht doch einen verborgenen Hang zur Sentimentalität?
„Weshalb haben Sie nicht wieder geheiratet?“, fragte sie ihn deshalb unvermittelt. „Ihre Scheidung liegt doch immerhin schon zehn Jahre zurück.“
Sofort löschte ein harter Ausdruck das sympathische Lächeln. „Ehe, oder gar nichts. Ist das Ihre ganze Einstellung, Carolyn?“
„Sehr altmodisch, nicht wahr?“
Da Ray und Marlee inzwischen in Hörweite waren, wurde Cliff einer Antwort enthoben. Auch Carolyn wurde sich sofort wieder der Rolle bewusst, die sie heute für ihre Freundin spielte. Die Show ging weiter. Nicht nur für Ray und Marlee. Sondern auch für alle anderen Gäste, die Champagner tranken, die kleinen erlesenen Party-Häppchen genossen, die Kellner ihnen von Silbertabletts anboten, und angeregt plauderten, während sie die Fotositzung beobachteten.
Diese Gartenbank war nur einer von vielen zauberhaften Plätzen, die der Fotograf hätte auswählen können. Doch mit seinen voll erblühten Magnolienblüten im Hintergrund war er nach Carolyns Ansicht der romantischste. Sie mussten immer wieder neue Stellungen einnehmen und immer wieder neue Gruppierungen bilden. Einige Fotos wurden sogar nur ganz speziell von Carolyn und Cliff gemacht. Sie musste sich an ihn lehnen, sein Arm lag um ihrer Taille.
Doch er verhielt sich wie ein Gentleman und unternahm keinerlei Versuch, diese Situation auszunutzen. Trotzdem war sie sich seiner Nähe aufs Äußerste bewusst, seiner Wärme und Stärke. Und der Tatsache, dass sie rein äußerlich ein sehr schönes Paar abgaben.
Wir könnten gut zusammen sein … Seine unverschämten Worte nagten an ihr, auch wenn sie wusste, dass sie nicht ernst gemeint waren. Genauso wenig, wie all die schönen Worte von Jeff. Gut zusammen passen … das war nur das, was Ray und Marlee hatten.
Endlich entließ sie der Fotograf zufrieden. Er hatte sie zum Schluss noch überall im Garten herumgeführt, und Carolyns Gesichtsmuskeln schmerzten inzwischen vom krampfhaften Lächeln. Und ihr Herz genauso. Die Harcourts hatten einen wunderschönen Besitz, und Carolyn musste immer wieder an ihren sehnlichen Wunsch denken, irgendwann einmal ein eigenes Stück Land zu besitzen. In der trostlosen Enge der Slums und dem nicht sehr viel erfreulicheren Umfeld des Kinderheims hatte sie schon sehr früh ein wahres Faible für großzügige und kunstvolle Gartengestaltung entwickelt. Durch Jeffs Anruf heute Morgen war dieser Traum nun wieder in weite Ferne gerückt. Aber nicht zerstört, wie alle anderen Träume. Denn diesen Traum würde sie sich irgendwann einmal selbst erfüllen können. Ganz sicher.
„Werde ich nun dafür belohnt, brav die Distanz bewahrt zu haben?“, riss Cliff sie neckend aus den trüben Gedanken,
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