JULIA FESTIVAL Band 78
zeigen, das ich gemalt hab’.“
Emily war durch und durch Phils Tochter. Sie war seine Erstgeborene und sah ihm ähnlich. Ihr Haar war lang, wie ihr Vater es mochte. Rowena fürchtete sich vor den ungewissen Zeiten, die vor ihnen lagen, als Emily sie hoffnungsvoll anblickte.
„Dein Bild haben wir doch an das Korkbrett geheftet, Liebling“, erinnerte Rowena ihre Tochter. „Daddy wird es sehen, wenn er heimkehrt.“
Emily seufzte enttäuscht, und Rowena fragte sich, wie es die Fünfjährige verkraften würde, den Vater zu verlieren, den sie anbetete und bei dem sie bis jetzt den Rückhalt gefunden hatte, den Kinder brauchten.
„Ich hab’ dich lieb, Mom.“ Emily legte die Arme um Rowenas Nacken und gab ihr einen feuchten Kuss auf die Wange.
Es brach Rowena das Herz. Eine Mutter zu haben genügte vielleicht, wenn die Bindung eng war. Heutzutage wurden viele allein erziehende Mütter und Väter sehr gut mit den Problemen fertig, denen sie sich gegenübersehen würde, falls Phil nicht zurückkam. „Ich liebe dich auch, Emily“, flüsterte Rowena. „Gute Nacht.“
Emily kuschelte sich in ihr Kissen, und Rowena hätte fast zu weinen angefangen. Sie stand auf, deckte ihre Tochter zu und durchquerte schnell das Zimmer, um nach Sarah zu sehen. Sie war eingeschlafen, während Rowena ihnen eine Gutenachtgeschichte erzählt hatte.
Zwei Mal in der Woche besuchte Sarah einen Spielkreis, und zum Glück war sie an diesem Tag dort gewesen. Sie war eine ziemlich frühreife Dreijährige, und Rowena war dankbar, dass ihr intelligentes kleines Mädchen beschäftigt gewesen war, während sie sich mit den grimmigen Gegebenheiten herumschlug.
Sarah spielte ständig mit ihrem langen braunen Haar, und eine Strähne war noch um ihren Zeigefinger gewickelt. Die Dreijährige war mit dem Daumen im Mund eingeschlafen. Sie war noch ein Kleinkind, trotz ihrer erstaunlichen Klugheit. Rowena zog sehr vorsichtig den Daumen zurück und löste das Haar von Sarahs Finger. Sarah zuckte nicht einmal. Wenn sie den ganzen Tag mit anderen Kindern herumgetobt hatte, war sie immer müde.
Würde sie ihren Vater ebenso sehr vermissen wie Emily?
Adriana Leigh konnte leicht sagen, die Mädchen seien in einem Alter, in dem sie noch ohne bleibende seelische Schäden über die Trennung hinwegkommen würden. Die Frau sah ja nicht, was in der Familie vorging, die sie zerstörte. Und es interessierte sie auch nicht. Sorgen machte Rowena, wie sehr sich Phil von Adriana beeinflussen lassen würde, was die Kinder betraf.
Aber es war doch unmöglich, dass er Jamie, Emily und Sarah nicht vermisste. Phil war kein Mann gewesen, der seine Kinder nicht beachtete. Wenn überhaupt, war er zu nachsichtig gewesen und hatte es ihr überlassen, Verbote zu verhängen und sie zu bestrafen.
Der beste Vater der Welt.
Hatte das seinem Ego geschmeichelt? Hatte er das Lob seiner Kinder gebraucht, um sich stark zu fühlen?
Rowena verdrängte Simons kritische Äußerungen über Phils Charakter und ging rasch zur Tür, wo sie sich umdrehte und einen letzten Blick auf ihre friedlich schlafenden Töchter warf. Noch brauchten sie nichts zu erfahren. Vielleicht überlegte Phil es sich anders.
Übermorgen war der letzte Schultag des Jahres. Nur eine Woche später war Weihnachten. Es blieb also nicht viel Zeit. Wenn Phil seine Meinung nicht änderte, musste sie den Kindern, die erwarteten, dass ihr Vater mit ihnen zusammen Weihnachten feierte, seine Abwesenheit erklären. Wie sollte sie das nur machen?
Leise schloss Rowena die Tür zum Schlafzimmer der Mädchen. Dann atmete sie tief durch, um ruhiger zu werden, bevor sie Jamie wieder gegenübertrat. Mit seinen zehn Jahren blieb er länger auf als seine Schwestern.
Beim Abendessen war er ungewöhnlich still gewesen und hatte seine Mutter beobachtet, als spürte er, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
Rowena hatte ihrem Sohn vorhin nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. An diesem Abend erinnerte er sie allzu schmerzhaft an Simon und an all das, was die Begegnung mit ihm am Mittag wieder aufgerührt hatte.
Sie musste aufhören, daran zu denken, und sich auf andere Dinge konzentrieren. Es brachte überhaupt nichts, sich ständig mit Simon zu beschäftigen und darüber zu grübeln, was er gesagt und wie er sich ihr gegenüber verhalten hatte. Derartigen Überlegungen, was hätte sein können, durfte sie sich nicht hingeben.
Wenn er sie nicht angelogen hätte …
Aber er hatte es getan, und das konnte sie ihm nicht verzeihen.
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