JULIA FESTIVAL Band 78
Wochenenden ist er auch nicht zu Hause gewesen.“
„Es lag an seiner Arbeit. Er hatte viel zu tun.“ Das war Phils Ausrede in den vergangenen drei Monaten gewesen.
„Warum ist er heute Abend nicht da?“
„Weil er … woanders sein will“, erklärte Rowena nicht sehr überzeugend.
„Kommt er zurück?“, fragte Jamie argwöhnisch.
„Ich weiß es nicht.“ Rowena brachte es nicht über sich, ihren Sohn zu belügen. Andererseits war es gefährlich, mehr zu sagen. Das Problem war, dass sie später nicht zurücknehmen konnte, was sie ihm jetzt erzählte, und sie wollte nicht, dass er sich Phil völlig entfremdete. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich im Moment lieber nicht darüber sprechen, Jamie. Dein Vater und ich … Wir brauchen ein bisschen Zeit, um alles zu klären. Okay?“
Jamie überlegte kurz, dann nickte er. „Okay, Mom.“ Anschließend fügte er heftig hinzu: „Was Dad auch tut, du wirst immer mich haben.“
„Oh, Jamie …“ Als sie hörte, wie ihre Stimme zitterte, verstummte sie.
Bevor sich Rowena so weit gefasst hatte, dass sie weitersprechen konnte, war Jamie vom Hocker heruntergestiegen und um die Küchentheke herumgekommen. Den Kopf an ihre Brust gedrückt, umarmte er sie.
Wie loyal er war, wie er sie liebte und beschützen wollte! Rowena streichelte sein Haar. Er war ihr Sohn, Simons Sohn. Wenn Simon eines solch wunderbaren Jungen nur würdig gewesen wäre!
„Ich will nicht, dass du noch einmal so weinst, Mom“, sagte Jamie und verriet damit seinen tiefen Kummer über ihren Zusammenbruch.
„Werde ich nicht“, versprach Rowena zärtlich. „Ich habe mich sehr allein gefühlt. Aber ich bin ja nicht allein, stimmt’s?“
„Stimmt. Du hast mich.“
„Und das werde ich nie wieder vergessen. Danke, dass du mich daran erinnert hast.“
„Schon gut.“
Wie mutig Jamie doch war! Mutig, entschlossen und fürsorglich.
Rowena kostete jede Sekunde der tröstenden Umarmung aus. Seit ungefähr einem Jahr lehnte Jamie den „rührseligen Kram“, ab, und dies war das erste Mal, dass er nichts dagegen zu haben schien. Und er sollte deswegen nicht verlegen werden.
„Was liest du gerade?“, fragte Rowena.
Jamie sah auf und ließ die Arme sinken. „ Watership Down. Ein Buch über Kaninchen.“
Lächelnd legte Rowena ihm die Hände auf die Schultern. „Nimm es doch mit in dein Zimmer, und lies im Bett weiter. Ich möchte noch eine Weile fernsehen.“
„Macht es dir denn nichts aus, allein hier unten zu sitzen, Mom?“
„Nein, mir geht es gut“, versicherte sie ihm liebevoll. „Licht aus um neun, denk daran.“
Jamie nahm sein Buch von der Küchentheke, sagte gute Nacht und ging im Vertrauen darauf, alles geregelt zu haben, beruhigt in sein Zimmer.
Wenn das Leben doch so einfach gewesen wäre!
Rowena machte sich einen Becher Kaffee, schaltete das Fernsehgerät ein und setzte sich in „ihren“ Sessel im Spielzimmer. Sie zappte durch die Programme und blieb schließlich bei einem Dokumentarfilm über Reisen mit der Bahn.
Im Grunde war es unwichtig, was sie sah. Der flimmernde Bildschirm sollte nur den Anschein von Normalität erwecken, damit Jamie glaubte, seine Mutter würde einen gemütlichen Abend vor dem Fernsehgerät verbringen, falls er noch einmal nach ihr schaute.
In Wirklichkeit nahm Rowena den Film überhaupt nicht wahr. Sie ließ ihre siebenjährige Ehe im Geiste Revue passieren, erinnerte sich an gute und schlechte Zeiten und versuchte, die Höhen und Tiefen zu ergründen. Aber sie stellte fest, dass Adrianas und Simons Meinungen ihre Überlegungen beeinflussten. Besonders über das, was Simon gesagt hatte, dachte sie unaufhörlich nach.
„Willst du einen Mann, der vor einer anderen Frau gerettet werden muss?“
Nein.
Sie wollte einen Mann, für den sie immer an erster Stelle kam. Wie Adriana ihr erklärt hatte, war sie, Rowena, selbst schuld am Scheitern ihrer Ehe, weil sie die Kinder an die erste Stelle gesetzt hatte. Manchmal hatte sie das getan, aber sie waren auch Phils Kinder. Sie waren kein anderer Mann.
Selbst wenn Phil zu ihr zurückkäme, würde sie sich nie wieder mit ihm wohl fühlen. Und das würde unweigerlich zu neuen Problemen führen. Von welcher Seite aus sie es auch betrachtete, vor ihr lagen schwere Zeiten.
Ein Geräusch ließ Rowena aufhorchen.
War die Haustür ins Schloss gefallen?
5. KAPITEL
Rowena schaltete hastig den Fernsehapparat aus und stand auf. Es musste Phil sein. Er war nach Hause gekommen. Ja, sie hörte
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