JULIA FESTIVAL Band 78
Antonia reden“, sagte Ray. „Geht ihr zwei schon und amüsiert euch.“
Scott und Jocelyn entfernten sich, und Antonia wurde von ihrem Stiefvater zum anderen Ende des Foyers und in die Bibliothek geführt.
„Du warst nicht sehr freundlich, Antonia“, begann Raymond, nachdem er die Tür der Bibliothek hinter ihnen geschlossen hatte. „Ich weiß, dass du dich über die Geschäftsübergabe sehr aufgeregt hast, aber Mr. Seton ist Gast in unserem Haus, und …“
„Er ist als Erster unhöflich gewesen!“, unterbrach Antonia ihn und ließ nun ihren aufgestauten Gefühlen freien Lauf. Mit langen Schritten ging sie auf und ab und gestikulierte dabei ziemlich wild. „Du hast es doch selbst miterlebt, Ray, wie er mich angestarrt hat! Als wäre ich ein Mensch von einem anderen Stern. Und dann … ja, er hat versucht, mit mir zu flirten!“ Antonias Stimme überschlug sich fast. „Dazu hat er kein Recht, angeblich interessiert er sich doch für Jocelyn! Und sie himmelt ihn an. Ich finde es geradezu abstoßend, dass er es trotzdem bei mir versucht hat. Dieser Mann ist herzlos, Ray, ein reiner Verstandesmensch. Scott Seton wird Jocelyn noch viel Kummer bereiten, das weiß ich genau, ganz genau!“
„Antonia …“ Ray seufzte. „Auch ich habe dich angestarrt. Immer wenn du in Erscheinung trittst, starren die Leute dich an. Du bist wie …“ Er suchte nach den richtigen Worten, mit denen er Antonias Wirkung auf die Menschen erklären konnte.
Schließlich fiel ihm ein Vergleich ein: „Du bist vergleichbar mit einer Sternexplosion im Universum, und du stellst alle Leute um dich herum in den Schatten. Antonia, du leuchtest einfach in den schillerndsten Farben, die man sich vorstellen kann.“
„Das ist aber nicht meine Absicht.“
„Antonia, du bist einfach so“, entgegnete Ray geduldig. „Als ich deine Mutter geheiratet habe und ihr beide zu uns gezogen seid, kam es mir vor, als hätte ich plötzlich einen Wirbelsturm im Haus. Seitdem ist es keine Sekunde mehr langweilig gewesen. Ich will dich damit nicht kritisieren, Liebes. Ich mag dich so, wie du bist. Ich möchte dir lediglich klarmachen, dass Scott so auf dich reagiert hat, wie es fast jeder andere Mann auch tut.“
„Und was ist mit seiner angeblichen Zuneigung für Jocelyn?“, rief Antonia temperamentvoll. Sah Ray denn nicht, dass da etwas nicht stimmte? Wenn es zwischen Scott Seton und Jocelyn eine gefühlsmäßige Bindung gab, durfte er nicht so auf sie, Antonia, reagieren.
„Ich bezweifle nicht, dass Scott Jocelyn sehr attraktiv findet. Auf eine andere Weise eben. Der erste Eindruck ist eine Sache. Ob sich danach noch etwas ergibt, ist etwas ganz anderes. Falls es dir nicht bewusst sein sollte, Antonia, es liegt in deiner Hand. Es liegt immer in der Hand der Frauen. Dass du keine Beziehung – welcher Art auch immer – willst, ist aber kein Grund, sich unhöflich zu verhalten.“
Antonia gab auf. „Ich werde versuchen, höflich zu sein, obwohl … ach, Ray, ich mag ihn einfach nicht.“
„Bisher hast du ihm noch keine Chance eingeräumt, Antonia“, ermahnte er sie. Milde Ironie lag in seiner Stimme.
Scott Seton hat vielen Menschen auch keine Chance gegeben, dachte Antonia.
„Ich verstehe nicht, wie du sagen kannst, ich leuchte in den schillerndsten Farben, wo ich doch Schwarz trage!“, kam sie nach einer Weile auf Rays Äußerung über ihre, Antonias, Wirkung zurück.
Raymond Clifford betrachtete seine Stieftochter mit Belustigung. „Und was ist mit der Rüsche? Die ist ja wohl nicht schwarz. Aber da wir gerade beim Thema Kleidung sind, Antonia, wir müssen demnächst einmal über finanzielle Dinge sprechen. Ich bin jetzt sozusagen Ruheständler, und wir werden nicht mehr ganz so viel Geld haben wie früher. Das heißt nicht, dass ich dich knapp halten muss. Ein wenig mehr Zurückhaltung von deiner Seite würde schon helfen.“
Antonia wurde rot. Sie hatte nicht einmal auf das Preisschild geguckt, als sie vor einiger Zeit in der Boutique Double Bay dieses Kleid kaufte. Die Boutique war die teuerste am Ort. Über den Preis der Schuhe, die Antonia heute Abend trug, mochte sie gar nicht erst nachdenken.
In den letzten Jahren hatte sie einfach nur eingekauft, ohne sich Gedanken übers Geld zu machen, während andere Menschen Monat für Monat ums Überleben kämpfen mussten. Mit dem Geld, das sie für das schwarze Kleid ausgegeben hatte, wäre der arme Mr. Templeton wahrscheinlich einen ganzen Monat ausgekommen.
Schuldbewusstsein
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