JULIA FESTIVAL Band 78
würdigen. Im Allgemeinen interessieren Millionäre sich ja nur für ihre Jahresumsätze.
Jocelyn hatte Antonia erzählt, dass Scott Seton sechsunddreißig Jahre alt sei. Er musste schon sehr skrupellos sein, da er in so jungen Jahren schon so viel Geld gemacht hatte. Skrupellos und niederträchtig!
„Sieht aus, als würde die Party ein voller Erfolg werden, Ray“, sagte Mr. Seton jetzt. Er hatte eine angenehme tiefe Stimme.
Antonia achtete nicht auf das, was Ray entgegnete, sondern musterte Scott Seton ausgiebig.
Er war ein wenig größer als Ray, also mindestens einen Meter und achtzig, und trug einen perfekt geschnittenen Smoking, in dem wohl die meisten Männer gut ausgesehen hätten. Doch Antonia musste zugeben, dass Scott Seton eine außerordentlich gute Figur besaß – breite Schultern, schmale Hüften. Und selbst die elegante Hose verbarg die durchtrainierte Beinmuskulatur nicht.
Ein Bild von einem Mann!
Antonia betrachtete sein Haar. Es war kräftig, glatt und fast so dunkel wie der Anzug.
Nein, an Scott Setons Äußerem ließ sich wirklich nichts aussetzen. Sie ärgerte sich darüber.
Aber an seinem Gesicht ist nichts besonders Schönes, dachte sie. Er hatte etwas kantige Gesichtszüge, sehr hohe Wangenknochen, eine relativ große Nase und eine ausgeprägte Kinnlinie. Die Augenbrauen waren leicht gebogen und verliehen dem insgesamt sehr männlich wirkenden Gesicht etwas Schalkhaftes.
Alles in allem verstand Antonia trotzdem nicht, warum Jocelyn sich gerade in ihn verliebt hatte.
Als hätte ihn ein sechster Sinn auf Antonias forschenden Blick aufmerksam gemacht, sah Scott Seton plötzlich zu ihr hoch. Ungeachtet der großen Feindschaft, die sie gegenüber diesem Mann empfand, spürte sie nun, dass dieser Mensch eine unwiderstehliche Anziehungskraft besaß. Alles um ihn herum schien zu verblassen.
Etliche Sekunden vergingen. Scott Seton sah Antonia noch immer mit seinen schönen dunkelbraunen Augen an, und sie fühlte sich wie hypnotisiert.
„Ah, da bist du ja, Antonia!“ In Rays Ton klang leise Kritik mit. „Warum kommst du erst jetzt herunter?“
Antonia zwang sich, den Blick von Scott Seton abzuwenden. „Ist es denn schon so spät? Entschuldige! Ich muss völlig das Zeitgefühl verloren haben.“ Um Rays und um Jocelyns willen musste sie die Höflichkeitsform wahren.
Ray betrachtete sie kurz.
„Wenigstens hast du die Zeit erfolgreich genutzt“, sagte er liebevoll und wandte sich wieder Scott Seton zu.
Der sah Antonia nach wie vor an. Langsam näherte sie sich jetzt den beiden Männern.
„Antonia, darf ich dir Scott Seton vorstellen? Scott, das ist meine Stieftochter, Antonia Braden.“
Erst nach einigen Sekunden streckte Scott die Hand aus. „Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen, Antonia.“
Sie kämpfte gegen ihren Zorn an. Warum nur blickte dieser Mann sie die ganze Zeit so durchdringend an? Jeden ihrer Schritte hatte er beobachtet! Sie kam sich vor wie nackt, und außerdem hatte sie das merkwürdige Gefühl, er könne ihr bis in die Seele sehen. Sie musste ihn schleunigst in seine Schranken verweisen!
Doch solange Ray dabei war, hieß es, sich zusammenzunehmen. Sie streckte ebenfalls die Hand aus.
„Guten Tag, Mr. Seton“, sagte Antonia und betonte das Wort „Mister“, besonders. Dabei nahm sie sich vor, ihm im Lauf des Abends deutlicher zu zeigen, wozu sie fähig war. Ganz genau wusste sie schon, was sie ihm sagen würde. Schade, dass sie ihn nicht von Anfang an brüskieren konnte!
Warme, kräftige Finger umschlossen ihre Hand. Scott Setons Händedruck erschien Antonia etwas kräftiger als nötig. Sie ließ ihre Hand nur schlaff in seiner liegen.
„Auf dieses Vergnügen habe ich lange warten müssen“, bemerkte Scott freundlich.
„Dasselbe gilt für mich“, entgegnete Antonia, was in gewissem Sinn der Wahrheit entsprach. Später, da … Die Verwirklichung ihrer Pläne würde nicht leicht sein, aber das machte nichts. Ach, wenn doch der Zeitpunkt der Machtprobe schon gekommen wäre!
Scott Seton schenkte ihr sein charmantestes Lächeln und zitierte ein Dichterwort: „Ein Phantom des Entzückens erschien mir, als zum ersten Male ich sie sah.“
Er sprach so gefühlvoll, dass ein seltsames Zittern durch Antonias Körper lief. Das waren wahrhaft schöne Worte. Aber diese Worte passten nicht zu dem Mann!
„Sie überraschen mich, Mr. Seton … Sie lieben die Verse romantischer Dichter?“, sagte sie ironisch. So, jetzt wusste er, dass er ihr nicht vormachen
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