JULIA FESTIVAL Band 78
nicht mehr beherrschen. Sie schluchzte auf. „Vielleicht … vielleicht sollte ich einfach verschwinden!“
„Beruhige dich, Liebes“, versuchte Ray sie zu trösten. „Es wird schon alles wieder in die Reihe kommen und gut werden. Und jetzt trockne dir die Tränen ab, Kleines.“ Er reichte ihr sein Taschentuch, so wie er es schon tausend Mal vorher getan hatte.
Sie wischte sich die Tränen ab und putzte sich die Nase. Nicht Rays Worte gaben Antonia Trost. Nein, Trost fand sie nur in Rays großer Liebe zu ihr, einer Liebe, die sie nicht ein bisschen verdiente. Irgendwie musste sie alles wieder gutmachen. Sollte es aber zum Schlimmsten kommen, würde sie es nicht zulassen, dass Ray die Verantwortung für ihre Dummheiten auf sich nahm.
Und plötzlich wurde das, worauf Scott Seton auch immer hinauswollte, furchtbar wichtig für sie.
7. KAPITEL
Fast den ganzen Samstag verbrachte Antonia damit, die Angelegenheit mit Mr. Templeton zu regeln, was sie von den unerfreulichen Dingen ablenkte. Alles in allem gesehen klappte es reibungslos, Mr. Templeton bei Lillian Devereux unterzubringen. Er war ganz entzückt von Mrs. Devereux und diese ebenso angetan von seiner netten Art. Plötzlich konnte nicht mehr die Rede davon sein, dass Männer abscheuliche Kreaturen waren.
Antonia sah kein Problem darin, Mr. Templeton mit der Zeit in die Pläne für die Versteigerung einzuweihen. Sagte man Lillian, was sie tun sollte, würde sie es sicherlich hervorragend schaffen, ihn auf seine Rolle bei der Auktion vorzubereiten. Antonia hoffte eigentlich nur noch, dass Mr. Templetons Gerichte immer so gut schmeckten wie das Thunfischsouffle.
So gern sie sich das auch weiterhin eingeredet hätte, dass Scott Seton ein durch und durch schlechter Mensch sei, sie schaffte es einfach nicht. Ihr schlug das Gewissen, weil sie so gemein gewesen war, während er sich ihr gegenüber großzügig benommen hatte. Obwohl … den Kuss hatte er sich ja wohl auf eine ganz gerissene Art ergaunert! Außerdem verstand Antonia noch immer nicht, warum Scott mit ihr kokettierte, wo er sich doch in Kürze mit Jocelyn verloben würde. Irgendetwas passte nicht zusammen.
Aber in Scott Setons kühlem Computergehirn passen die Mosaikstücke sicher vorzüglich zusammen, überlegte sie. Oder sagen wir einmal – zumindest zu zweiundneunzig Prozent!
Doch egal, wie sie sich auch fühlte, sie wusste, was sie tun musste. Nämlich genau das, was Ray von ihr gefordert hatte. Noch einmal würde sie ihren Stiefvater nicht enttäuschen.
Am Samstagabend stand Antonia in Jocelyns Zimmertür und sah zu, wie die Stiefschwester sich für eine Verabredung schön machte. Antonia bewegten die widersprüchlichsten Gefühle, und sie fragte sich, ob wohl alles nach Scotts Wünschen verlief oder ob Jocelyn sich noch immer für Robert Gilbert interessierte.
Auch wenn ihr keine der beiden Möglichkeiten gefiel, musste sie, Antonia, jetzt unbedingt die Wahrheit herausfinden.
„Das Kleid steht dir aber ganz fabelhaft“, begann sie schließlich und meinte es auch so; denn Jocelyn sah in dem pfirsichfarbenen Seidenkleid wirklich zauberhaft aus.
„Danke, Toni. Ich habe es heute Morgen in einer Boutique entdeckt und mich sofort darin verliebt“, erwiderte Jocelyn lächelnd.
„Hat Scott heute Abend etwas Besonderes mit dir vor?“, fragte Antonia möglichst beiläufig und wartete gespannt auf die Antwort.
Jocelyn begann sich das lange seidige Haar zu kämmen.
„Er ist an diesem Wochenende gar nicht hier, er hat irgendwo geschäftlich zu tun“, erwiderte sie und es klang ebenso beiläufig.
Antonia bekam große Schuldgefühle. „Mit wem gehst du denn dann aus?“
„Ach, ich bin zu einer Party bei Freunden eingeladen.“ Sie ließ den Kamm sinken, sah Antonia geistesabwesend mit ihren schönen bernsteinfarbenen Augen an. Ein wichtiges Problem schien Jocelyn zu beschäftigen. Schließlich erkundigte sie sich: „Sag einmal, Toni, interessierst du dich eigentlich für Scott?“
„Ja natürlich, da du ihn wohl heiraten wirst“, entgegnete Antonia vorsichtig. Sie hatte mit Ray vereinbart, Jocelyn nichts von der heiklen Situation zu erzählen, in der sie sich befanden. Das hätte Jocelyn nur unter Druck gesetzt. „Sollte er also mein Schwager werden, ist es wichtig, mit …“
„Das meine ich nicht. Ich möchte wissen, ob du dich zu ihm hingezogen fühlst. Also?“
Eine schwierige Frage, fand Antonia. Sie dachte nach, zuckte schließlich die Schultern und entschloss sich, der
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