JULIA FESTIVAL Band 84
werden, dass sie sich wohl lieber an das Sichere und Vertraute geklammert hat, als die Sache mit der Adoption weiterzuverfolgen. Wahrscheinlich kam es ihr auch irgendwie unwirklich vor, noch eine Mutter zu haben. Für Kimberly waren meine Schwester und ihr Mann schließlich immer die Eltern gewesen.“
„Und dann haben Sie mit Kimberly darüber gesprochen?“
„Nein“, erwiderte Anthony. „Ich fand es besser, das nicht zu tun. Sie hat Mutter und Vater verloren, und ich wollte nicht daran rühren, dass sie als Baby schon einmal ihre Eltern … ihre leiblichen … verloren hat. Meine Nichte hat es bis vor einigen Tagen für sich behalten.“
Ein solches Geheimnis ein ganzes Jahr zu bewahren … Meredith fragte sich, wie oft sich ihre Tochter wohl ein anderes Leben mit ihren richtigen Eltern vorgestellt haben mochte, während sie versucht hatte, sich an das mit ihrem Vormund zu gewöhnen, der nur durch Adoption ihr Onkel war. Oder fühlten sich die beiden enger verbunden … Vater und Tochter?
Ob es Blutsbande gab, auch wenn die Blutsverwandtschaft nicht bekannt war? Würde Kimberly das Gefühl haben, eine völlig Fremde vor sich zu haben, oder würde sie sofort spüren, dass sie zusammengehörten? Letzteres, hoffte Meredith. Sie konnte es kaum erwarten, ihre Tochter kennenzulernen, aber sie wusste, dass sie vernünftig sein und sich gedulden musste, solange das Treffen noch nicht einmal festgesetzt war.
Meredith beobachtete, wie der einzige Mann, den sie jemals geliebt hatte, die Sandwiches auf den Grill legte. Was hielt Anthony von der Bitte seiner Nichte? Darauf war er wohl auch nicht gefasst gewesen. Aber Anthony Hamilton war kein Mensch, der sich vor Problemen drückte. Er stellte sich ihnen und löste sie. Und genau auf diese Eigenschaft hatte Meredith vertraut, als sie gemerkt hatte, dass sie schwanger war.
„Du meinst im Ernst, ein Student aus reichem Haus wird zu dir stehen?“, hatte ihre Stiefmutter gespottet. „Der hat sich schnell davongemacht, als ich ihm gesagt habe, wie alt du seist. So ein Mann will nicht an ein sechzehnjähriges Provinzmädchen gefesselt sein, das ihm nichts bedeutet. Für ihn warst du nur eine Urlaubsbekanntschaft, mit der er sich gut amüsiert hat.“
Meredith hatte damals nicht geglaubt, dass sich Anthony davongemacht hatte, und sie glaubte es jetzt nicht.
Er war schockiert gewesen, als ihm ihre Stiefmutter gesagt hatte, wie jung Meredith noch sei. Viele hatten sie damals für achtzehn oder neunzehn gehalten. Und da sie sich verzweifelt wünschte, dass Anthony sie mitnahm – wohin, das war ihr völlig gleich –, ließ sie ihn annehmen, sie wäre schon älter. Liebe hat nichts mit dem Alter zu tun, rechtfertigte sie sich.
Aber Anthony sah das anders. Er erkannte die Probleme und setzte sie Meredith auseinander. Sie habe noch zwei Schuljahre vor sich, sagte er, und danach müsse sie entscheiden, ob sie studieren wolle. Es sei nicht gut, wenn sie sich jetzt schon an einen Mann binde. Sie brauche ihre Freiheit, damit sie sich unbelastet Gedanken über ihre Zukunft machen könne.
Er war der Meinung, dass sie mit einer festen Beziehung warten sollten, bis Meredith älter war. Ihre Liebe würde die Zeit überdauern. Er gab Meredith seine Adresse und schlug vor, dass sie sich Weihnachtskarten schickten. Ohne jede Verpflichtung. Sie würden sich einmal im Jahr schreiben, und wenn Meredith einundzwanzig wäre …
„Ist achtzehn nicht alt genug?“, protestierte sie. So viele Jahre, bis sie wieder mit ihm zusammen sein konnte. Der Gedanke war ihr unerträglich.
„Es wäre dir gegenüber nicht fair“, erwiderte Anthony wehmütig. „Und es ist besser, wenn ich nicht noch länger hierbleibe, Merry. Je enger unsere Beziehung wird, desto schwerer wird es sein, auseinanderzugehen.“
Er reiste noch am selben Tag ab. Einen Tag, nachdem sie auf der hinteren Veranda miteinander geschlafen hatten und dabei von ihrer Stiefmutter überrascht worden waren. Sie hatte eine hässliche Szene gemacht und Anthony beschuldigt, ein sechzehnjähriges Mädchen auszunutzen. Obwohl er schockiert gewesen war, hatte er nicht zugelassen, dass Merediths Stiefmutter in den Schmutz zog, was so schön gewesen war.
Anthony ging, aber vorher versprach er Meredith, dass sie eine gemeinsame Zukunft haben würden … wenn sie sich wirklich liebten. Er bewies, dass es ihm Ernst war, indem er ihr seine Adresse gab. Das hätte er nicht getan, wenn er sich einfach hätte „davonmachen“ wollen.
Sie hatten
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