JULIA FESTIVAL Band 95
sie den geliehenen Bademantel vom Bett und zog ihn über.
„Sie hätten sich anmelden können“, sagte sie verlegen.
„Ich habe geklopft.“
„Ich weiß, aber ich dachte, es wäre Anna Jane oder Leona.“
„Vielleicht hätten Sie fragen sollen, wer da ist.“
„Danke. Das werde ich mir merken.“
Er stand in der Tür. Statt Anzug mit Krawatte trug er ein rotes Poloshirt und Jeans, und sie sah die Muskeln, die sich darunter abzeichneten.
„Kommen Sie herein“, forderte sie ihn auf und zeigte zu dem Stuhl vor der Kommode. „Ich bin gleich fertig.“
Sie nahm die Shorts sowie das T-Shirt, das sie sich zurechtgelegt hatte, und eilte ins Bad. Während sie sich anzog, wurde ihr klar, dass sie ein weiteres Stück ihrer Persönlichkeit entdeckt hatte. Es war ihr peinlich, dass Jarrett sie nur mit einem Handtuch bekleidet gesehen hatte. Also war sie eher schüchtern und ganz bestimmt nicht auf erotische Abenteuer aus. Sie war heilfroh darüber und wünschte, sie könnte die Erleichterung mit jemandem teilen. Leider schien Jarrett nicht der Mann zu sein, mit dem man über so etwas reden konnte.
Sie musste lächeln und tat es selbst dann noch, als sie die Badezimmertür öffnete. Jarretts ausdrucksloses Gesicht ließ sie schlagartig wieder ernst werden. Sie straffte die Schultern und warf einen Blick auf die Uhr.
„Wenn Sie hier sind, um sicherzugehen, dass ich rechtzeitig unten bin, machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe nicht vor, mich zu verspäten. Ihr Fahrer wird nicht warten müssen.“
Er zeigte auf das Bett. „Bitte setzen Sie sich.“
Sie folgte seiner Aufforderung.
Er holte tief Luft. „Ich habe mit meinem Hoteldirektor gesprochen. Niemand hat Sie als vermisst gemeldet.“
Er redete weiter, aber Arielle hörte ihn nicht. Sie verstand es nicht. Niemand vermisste sie.
„Niemand?“, unterbrach sie ihn. „Niemand hat nach mir gefragt?“
„Nein.“
Das war nicht möglich. Wie konnte sie ganz allein auf dieser Welt sein? „Niemand will mich“, flüsterte sie.
Jarrett räusperte sich. „Bestimmt haben Sie eine Familie. Aber nicht hier im Hotel.“
Wie konnte er so sicher sein? Er wollte sie nur trösten. Nicht etwa, weil er ein mitfühlender Mensch war, sondern weil er befürchtete, dass sie hysterisch werden würde.
„Mein Zimmer“, platzte sie heraus. „Ich war vielleicht noch nicht in meinem Zimmer. Das Hotelpersonal braucht nur ein Zimmer zu finden, in dem noch niemand übernachtet hat.“
„Ich wünschte, es wäre so einfach.“ Er lehnte sich zurück. „Viele unserer Gäste unternehmen Ausflüge auf die Nachbarinseln. Ein unbenutztes Bett ist nicht selten.“
„Was ist mit den anderen …“
Er hob die Hand. „Wir haben die Hotels auf den anderen Inseln bereits verständigt. Sollten Ihre Familie oder Ihre Freunde dort sein, werden sie sich hier melden. Es dürfte nicht lange dauern. Zu dieser Jahreszeit sind nicht viele alleinreisende Frauen unterwegs.“
Sie schöpfte wieder ein wenig Mut, obwohl sie instinktiv ahnte, dass sie nur auf St. Alicia gewesen war. Doch trotz der Tatsache, dass niemand nach ihr suchte, konnte sie nicht glauben, dass sie ganz allein war. Was hatte er gerade gesagt?
„Was soll das heißen, zu dieser Jahreszeit?“
„In weniger als zwei Wochen ist Weihnachten“, sagte er.
Das Blut wich ihr aus den Wangen. „Sie scherzen.“
„Keineswegs.“
Weihnachten? Ohne Familie? Was für eine schreckliche Vorstellung. „Das wusste ich nicht.“
„Wie sollten Sie auch? Ohne Gedächtnis?“
„In Ihrem Haus ist nichts davon zu merken.“
Er runzelte die Stirn. „Wie meinen Sie das?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Nichts ist geschmückt. Wir könnten auch April haben. Kein Adventskranz, kein Baum. Was ist mit Geschenken?“
„Derartige Dinge interessieren mich nicht.“
Wie traurig, dachte sie. Irgendwie tat er ihr leid. Wie konnte jemand das Weihnachtsfest einfach ignorieren? Sie musterte ihn. Hinter dem attraktiven Gesicht und dem männlichen Körper verbargen sich ein zynisches Herz und eine Seele aus Eis.
„Was ist mit Anna Jane?“, fragte sie. „Jarrett, sie braucht dieses Weihnachtsfest. Sie muss wissen, dass das Leben auch nach dem Tod ihrer Mutter weitergeht. Gerade zu Weihnachten wird sie ihre Mutter ganz besonders vermissen, darauf sollten Sie vorbereitet sein. Sie müssen ganz für Anna Jane da sein.“
Er kniff die Augen zusammen. „Sind Sie Expertin?“
Sie zögerte. „Ich bin mir nicht sicher, aber ich weiß,
Weitere Kostenlose Bücher