JULIA FESTIVAL Band 95
sein Büro machte. Durch den Türschlitz fiel ein schwacher Lichtstrahl auf den Fußboden im Flur. Seltsam, hatte er heute Morgen vergessen, das Licht auszuschalten?
Schon bevor er die Tür öffnete, hörte er jemand am Computer tippen. Erstaunt betrat er das Zimmer und blieb verblüfft stehen.
Als Elissa nicht zum Abendessen erschienen war, hatte er vermutet, dass sie in die Stadt gefahren sei. Nur mit Mühe konnte er das Verlangen, ihr nachzuspionieren, unterdrücken. Jetzt wusste er, wo sie den ganzen Nachmittag gesteckt hatte.
„Was machst du hier?“, fragte er barsch, um seine Gefühle zu verbergen.
Elissa sprang erschrocken hoch und legte die Hand aufs Herz. „Hast du mich jetzt erschreckt.“ Sie lachte, verunsichert durch seine unfreundliche Haltung. „Guck nicht so verärgert. Ich habe ja nichts Schlimmes getan.“ Sie deutete auf ein paar Blätter, die noch vor wenigen Stunden ganz zuunterst in einem beträchtlichen Stapel gelegen hatten. „Ich wollte dir eine Notiz auf den Schreibtisch legen, als ich diesen Berg Schreibkram hier liegen sah. Da habe ich einfach angefangen zu schreiben.“
Elissa spreizte die Finger und ballte anschließend die Hände. „Wie spät ist es eigentlich?“
„Halb acht.“
„Du meine Güte. Da habe ich doch tatsächlich die Zeit vergessen.“
Cole sah über ihre Schulter hinweg auf den Bildschirm und las, was sie geschrieben hatte. „Es gehört nicht zu deinem Job, für mich zu arbeiten.“ Er war ihr so nahe, dass er ihren weiblichen Duft wahrnahm.
„Ich wollte dir doch bloß helfen. Mit meinem freien Nachmittag kann ich schließlich anfangen, was ich will.“
„Ich werde dafür sorgen, dass du die Stunden bezahlt bekommst.“
Elissa verdrehte die Augen. „Cole, stell dich bitte nicht so an. Kannst du nicht einfach freundlich lächeln und ‚Danke‘ sagen?“
„Danke“, sagte er. Zu einem Lächeln reichte es allerdings nicht. „Die Sachen liegen schon wochenlang herum, ich hatte bisher keine Zeit, sie zu übertragen.“
„Wochenlang ist schamlos untertrieben. Manche Schriftstücke waren auf Juli datiert. Gib mir noch zehn Minuten Zeit, dann bin ich ganz fertig.“
„Okay. Hast du eigentlich schon gegessen?“
Elissa schüttelte den Kopf.
„Dann hole ich dir in der Zwischenzeit ein Sandwich.“
„Das wäre prima. Vielen Dank.“
Als Cole fünfzehn Minuten später zurückkam, lief das letzte Blatt durch den Drucker, und Elissa wischte auf dem Schreibtisch Staub.
„Ich konnte nicht widerstehen“, sagte sie verlegen. Cole stellte ein Tablett mit zwei Tassen Kaffee, einem Sandwich und einem Stück von Gregs Geburtstagskuchen mitten auf den Schreibtisch. Die Vergangenheit holte ihn ein. So war es immer gewesen, wenn er nach Hause gekommen war. Alles war schön sauber und ordentlich, und in der Küche, wo sie ihm ein liebevoll zubereitetes Abendessen servierte, duftete es stets nach frischen Blumen.
„Was hast du eigentlich tagsüber so gemacht?“, fragte Cole und konzentrierte sich auf die dunkle Flüssigkeit in seiner Tasse.
„Du meinst, als wir noch zusammengelebt haben?“, fragte Elissa und biss herzhaft in ihr Sandwich.
Cole nickte nur.
„Tja“, fing Elissa an, nachdem sie zu Ende gekaut hatte. „Ich bin spazieren gegangen, habe geputzt, Ausstellungen besucht, Kochbücher aus der Bücherei ausgeliehen, verschiedene Gerichte ausprobiert – nichts Besonderes eben.“ Sie nahm einen zweiten Bissen.
Grelles Neonlicht wirkte sich in der Regel nicht besonders schmeichelhaft auf die äußere Erscheinung von Menschen aus, doch Elissas Gesicht war so makellos, dass seine Klarheit durch Helligkeit noch betont wurde. Die Zeit hatte sie verändert. In der Zeit ihrer Trennung war sie erwachsen geworden. Cole mochte diese neue Elissa. Und nicht nur ihr Aussehen gefiel ihm, sondern auch ihre Stärke und Selbstsicherheit.
Heute hätte sie darauf bestanden, sich ein eigenes Leben zu organisieren – ganz gleich, ob es um Ausbildung oder Berufswahl ginge. Sie hätte nicht ausschließlich auf die Bedürfnisse ihres Mannes Rücksicht genommen. Cole musste zugeben, dass sie mit dieser Methode auf jeden Fall richtiger gelegen hätte. Wie unüberlegt sie ihren gemeinsamen Weg doch begonnen hatten. Sie hatte nur für ihn gelebt, er hingegen hatte nichts anderes im Kopf gehabt als seinen Job.
„Wir haben viele Fehler gemacht“, sagte Cole nachdenklich. „Ich hätte mir mehr Zeit für dich nehmen sollen. Ich hätte merken müssen, dass du
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