JULIA FESTIVAL EXTRA Band 04
war, würde sie einen Weg finden, auch damit zurechtzukommen. Auch ihr Kind hatte das Recht, seinen Vater kennenzulernen.
Ehe sie es sich noch einmal anders überlegen konnte, warf sie den Brief ein und eilte zu ihrem Wagen zurück. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Als sie sich hinters Steuer setzte, schien eine schwere Last von ihren Schultern genommen. Die ganze Woche hatte sie mit dieser Entscheidung gekämpft. Jetzt war alles Wichtige getan.
Es war fast fünf Uhr. Für die lange Fahrt morgen hatte Nicole sich in Port Douglas Malzzucker und einige Flaschen Mineralwasser besorgt und hoffte, damit die Übelkeit, die sie immer noch plagte, erträglich zu halten. Nur noch eine Nacht im Schloss.
Ein letztes Mal fuhr sie durch die Straßen, die ihr so vertraut geworden waren. Sie würde diese Stadt vermissen. Vielleicht würde ihr Kind eines Tages zu Besuch hierher kommen, falls Matteo das wollte. Nicole blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. Es war Zeit, zum Schloss zurückzufahren, denn sie wollte noch einmal vom Turm aus den Sonnenuntergang sehen.
Rosita war in der Küche, als Nicole die Wasserflaschen hereintrug, um sie über Nacht in den Kühlschrank zu legen.
„Ich habe zum Abendessen meine spezielle Lasagne für Sie vorbereitet“, verkündete die mütterliche Haushälterin.
Obwohl der Gedanke an Essen Nicole im Moment nur wenig reizte, lächelte sie, denn sie wusste, dass Rosita es lieb meinte. „Ich freue mich schon darauf.“
„Und für morgen werde ich Ihnen eine Provianttasche packen.“ Rosita betrachtete Nicole liebevoll und besorgt. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
„Nein, danke, Rosita. Sie haben schon viel zu viel für mich getan. Ich gehe jetzt auf den Turm, um den Sonnenuntergang zu genießen.“
„Ja, der Ausblick von dort oben ist herrlich. Aber passen Sie auf, dass Sie nicht stolpern. Die Stufen sind alt und ausgetreten.“
Nicole verließ die Küche mit dem Gefühl, dass Rosita wusste oder zumindest ahnte, was sie, Nicole zu verbergen versuchte. Diese besondere Fürsorge, der ausdrückliche Rat, auf sich aufzupassen … Schweren Herzens stieg sie die Stufen zum Turm empor. Rositas mütterliche Fürsorge würde ihr fehlen. Wer so früh die eigene Mutter verloren hatte, ließ sich gern ein wenig bemuttern und umsorgen.
So vieles würde ihr fehlen. Wie oft war sie hier auf den Turm gekommen, um nach Beendigung ihrer Arbeit vor dem Abendessen noch etwas zu entspannen! Von hier hatte man einen fantastischen Ausblick in alle Richtungen … auf das Meer, die Berge, den endlosen Horizont, verzaubert im unvergleichlichen Farbenspiel der untergehenden Sonne.
Nicole ging langsam um die Turmspitze herum und genoss das alles zum letzten Mal. Schließlich blieb sie an dem Platz stehen, von wo aus sich ihr Lieblingsausblick bot auf die Dickenson-Bucht mit dem Yachthafen, die Zuckerrohrfelder gegenüber, die sich bis zum Meer erstreckten, und die Hügel dahinter, hinter deren Kuppen die Sonne versinken würde.
Es war so tröstlich, friedlich, wunderschön. Nicole dachte daran, wie die Mutter ihrer Auftraggeberin, Marguerita Valeri, in früheren Zeiten hier gestanden und beobachtet hatte, wie die Boote hereinkamen, die Zuckerrohrfelder in der Erntezeit abgebrannt wurden und wie die Sonne über den Hügeln unterging. Und zum ersten Mal kam Nicole in den Sinn, dass auch ihr Kind … Matteo Kings Kind … Teil dieser Pionierfamilie war, die dieses Schloss und so vieles andere mehr hier oben im Norden von Queensland aufgebaut hatte.
Mochte auch sie, Nicole, nie wirklich irgendwohin gehören, ihr Kind war tief in einer großen, alten Familie verwurzelt. Einer Familie mit einer langen Geschichte. Und sie würde diese Geschichte aufschreiben, damit sie für alle Zeiten erhalten blieb. Zumindest das konnte sie ihrem Kind geben. Und vielleicht würde Matteo – wenn er seine Verantwortung als Vater tatsächlich ernst nahm – ihm das Gefühl geben, wirklich dazuzugehören.
Matteo erreichte die oberste Plattform des Turmes und blieb stehen, um sich noch einmal für das zu sammeln, was getan werden musste. Nicole stand ein Stück entfernt an der Brüstung mit dem Rücken zu ihm und schien in den Ausblick versunken, den auch seine Großmutter besonders liebte.
Die untergehende Sonne tauchte ihre schlanke Silhouette mit dem herrlichen roten Haar in ein goldenes Licht. Wie sie so reglos dastand, wirkte sie zerbrechlich und einsam … und strahlte dennoch eine unglaubliche innere Kraft und
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