JULIA FESTIVAL EXTRA Band 04
sind als das Wohl seines Kindes? Du warst neun Jahre alt, als deine Mutter starb. Neun Jahre!“
„Er war mein Vater“, antwortete sie heftig.
„Ja, und Vater sein bedeutet Verantwortung“, entgegnete er unbeirrt. „Kannst du dir vorstellen, dass Alessandro oder Antonio jemals ihre Verantwortung gegenüber ihren Kindern derart vernachlässigen würden? Dass sie sich in Depressionen ergehen oder in den Alkohol flüchten und ihren Kindern damit die Sicherheit und Geborgenheit rauben würden, die jedes Kind braucht?“
„Die beiden leben in einer ganz anderen Welt“, wehrte Nicole trotzig ab.
„Sie sind auch Männer und Väter.“
„Nicht alle Männer sind gleich.“
„Richtig. Aber du bist inzwischen eine Frau und kein Kind mehr und solltest der Wahrheit ins Auge blicken. Deinem Buch habe ich entnommen, dass dein Vater die Menschen mit seinem Charme um den Finger wickeln konnte, wenn er nicht gerade sturzbetrunken war. Aber Charme ist kein Ersatz für die wesentlich wichtigeren Dinge im Leben.“
„Du fällst schon wieder ein Urteil über etwas, wovon du keine Ahnung hast!“
Seine dunklen Augen funkelten herausfordernd. „Nun, ich weiß zumindest, dass Peter Owen schon zweimal geschieden ist, und ich bin sicher, dass seine Exfrauen zu Anfang von seinem Charme geblendet waren. Das solltest du gleich auf der Party vielleicht nicht vergessen.“
„Du verstehst das nicht. Es ist schwierig, mit einem Musiker zu leben. Sie gehen ganz in ihrer künstlerischen Welt auf, und wenn man kein Verständnis dafür hat, wie wichtig das für sie ist …“
„So wichtig, dass die eigenen Bedürfnisse immer hinter der Selbstverwirklichung des Künstlers zurückstehen müssen?“, warf Matteo skeptisch ein. „Das hast du an der Seite deines Vaters lange genug mitgemacht, Nicole. War es so toll?“
Ihr dämmerte es, dass er möglicherweise eifersüchtig auf Peter war. Vielleicht, weil sie so energisch darauf bestanden hatte, zu der Party zu gehen, wo sie ihren alten Freund natürlich wiedersehen würde. Glaubte Matteo, dass sie die Freundschaft wieder aufleben und intensivieren wollte? Er hatte jedenfalls geschickt ihre schmerzlichen Erfahrungen aus dem Zusammenleben mit ihrem Vater genutzt, um sie gegen Peters sprichwörtlichen Charme zu wappnen. Und die Art, wie er ihren Arm hielt, kam ihr plötzlich sehr besitzergreifend vor, als wollte er sie nicht von seiner Seite lassen.
Sie hatten das Foyer erreicht und gingen langsam hinter den anderen her nach draußen, wo die Limousinen bereitstanden. In wenigen Minuten würden sie auf dem Weg zurück ins Hotel sein, wo die Premierenfeier in einem großen Saal stattfinden sollte. Doch Matteo drängte es, seinem Standpunkt noch etwas hinzuzufügen.
„Du bist jetzt frei“, sagte er beschwörend. „Frei zu tun, was du willst. Ich habe dir oben in deinem Hotelzimmer die Wahl gelassen, und du hast mich gewählt. Was meinst du, was das besagt, Nicole? Über deine Wünsche, deine Bedürfnisse?“
Sie wusste es nicht. Es war ihr bislang nicht gelungen, das Chaos ihrer Gefühle für Matteo King zu sortieren. Das alles war so überraschend, so überwältigend. Nicole konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen und war froh, dass jetzt sowieso keine Zeit mehr für eine Antwort blieb. Antonio und Hannah hatten bereits in der Limousine Platz genommen, und Nicole folgte ihnen mit Matteo.
Während der Rückfahrt versteckte sie sich hinter einer gleichmütig freundlichen Miene und hing ihren Gedanken nach. In einem hatte Matteo recht: sie war frei zu tun, was immer sie wollte. Sie war durch keinerlei persönliche Verpflichtungen mehr gebunden und lediglich verantwortlich für die Aufträge, die sie annahm … und die sie ebenfalls frei wählen konnte.
Frei … hatte sie sich bewusst dazu entschieden, sich in all den Jahren seit dem Tod ihres Vaters an keinen Menschen mehr zu binden? In der ersten Zeit hatte sie sich einfach zu leer gefühlt, um irgendeine Beziehung einzugehen. Sie hatte sich auf oberflächliche Bekanntschaften beschränkt, die ihr nichts abverlangten. Wahrscheinlich war es eher unbewusst gewesen, aber rückblickend begriff Nicole jetzt, dass während ihrer Studienzeit das Bedürfnis an erster Stelle gestanden hatte, zu sich selbst zu finden.
Danach war ihr das Alleinsein vielleicht einfach zur Gewohnheit geworden. Aber sie hatte sich durchaus einsam gefühlt und war eine Zeit lang mit dem einen oder anderen Mann ausgegangen. Bis sie auch in diesen Beziehungen
Weitere Kostenlose Bücher