JULIA FESTIVAL EXTRA Band 06
die Furcht in ihren Augen.
„Danke, dass Sie gekommen sind. Ich war zu verängstigt, um mich zu rühren. Albern, ich weiß …“
„Das ist überhaupt nicht albern“, widersprach David. „Wenn wir ehrlich sind, haben die meisten von uns vor irgendetwas Angst.“
Honor lächelte matt. „Und wovor haben Sie Angst?“
Es ging ihr schon besser, das sah er in ihren Augen. Aber er sah mehr als das. Viel mehr …
Er sah zum Beispiel, wie der Mondschein auf ihren anmutigen Mund fiel und wie ihr Haar sich an den Hals schmiegte. Dann sah er die rosig warme Haut ihrer Schultern und vermutete, dass sie unter der Bettdecke nackt war.
Sein Körper reagierte augenblicklich auf das, was er dachte.
„Wovor ich im Moment am meisten Angst habe, ist … dass ich hier bei Ihnen bin“, antwortete er ehrlich. Eine Sekunde lang glaubte er, er hätte etwas Falsches gesagt, und deutete ihr Schweigen als Zurückweisung.
Dann sah er die Tränen in ihren Augen glitzern und legte seine Hand auf ihre.
Sie atmete tief durch. „Früher fuhren wir, meine Eltern, meine Brüder und ich, jedes Jahr nach Schottland zu meinen Großeltern. Sie hatten ein riesiges altes Haus, und oben gab es eine lange Galerie.“ Sie verzog das Gesicht. „Sie wissen schon, nur Familienporträts in Öl zwischen all diesen grässlichen Jagdtrophäen. Wir spielten dort immer, wenn es regnete. An dem einen Ende stand eine riesige Eichentruhe. Meine Brüder ärgerten mich jedes Mal, indem sie mir erzählten, sie sei in Wirklichkeit ein Sarg. Natürlich stimmte das nicht, aber ich glaubte es ihnen.“
Sie lächelte verlegen. „Die beiden waren älter als ich und hatten wahrscheinlich keine Lust, mit einem Mädchen zu spielen. Sie gingen auf ein Internat, und außer in den Ferien sahen wir uns kaum. Na ja, ich war damals erst acht. Und irgendwann spielten wir Piraten. Ich wurde ‚gefangen‘ und in ein altes Laken gehüllt. Und dann kamen die beiden auf die Idee, mich in die Truhe zu sperren.“
Honor hatte anfangs immer schneller gesprochen, doch jetzt wurde sie plötzlich so langsam und leise, dass David näher rücken musste, um sie verstehen zu können.
„Es war nur ein Dummejungenstreich. Sie meinten es nicht böse, aber dann passierte es. Entweder wurden sie nach unten gerufen … oder sie vergaßen mich einfach.“
Sie hatte zu zittern begonnen, und ihr Gesicht war kreidebleich geworden. Aber obwohl sie zu frieren schien, sah David die Schweißperlen auf ihrer Stirn, als sie den Schrecken ihrer Gefangenschaft noch einmal durchlebte. Er verstand sie gut.
Er konnte sich vorstellen, was sie damals durchgemacht hatte, und sein Herz schlug schneller. Der Wunsch, sie zu trösten, sie an sich zu ziehen und ihr zu versichern, dass er, David Crighton, sie für den Rest seines Lebens beschützen würde, war gewaltig.
„Was ist?“, fragte Honor atemlos, als er ihre Hand fester packte.
„Nichts“, log er. „Wenn ich damals Ihre Brüder erwischt hätte …“
Zu seiner Erleichterung lachte sie, tief, melodisch und mit zurückgelegtem Kopf. Am liebsten hätte er die Lippen an ihren Hals gepresst.
„Obwohl ich als Mutter jede Gewalt gegen Kinder ablehne, tut es mir gut, Sie das sagen zu hören“, gestand sie. „Als die Haushälterin meiner Großeltern mich endlich fand, wurde ich nur getadelt, weil alle mich gesucht und ich mich schmutzig gemacht hatte. Meine Brüder waren mit einem Freund fortgegangen und hatten niemandem erzählt, dass sie mich in die Truhe gesperrt hatten.“
„Ihre Brüder müssen sich bestimmt schrecklich geschämt haben.“
„Eigentlich nicht“, sagte Honor. „Sie waren beide auf einem Internat. Und damals wurden dort noch die Ideale einer falsch verstandenen Männlichkeit vermittelt. Ich glaube, meine Familie hatte kein Verständnis dafür, dass ich meine Angst vor der Dunkelheit nicht mehr loswurde. Meine Eltern fanden, dass ein solches Erlebnis ein Kind nicht schwächer, sondern stärker machen sollte.“
Sie seufzte leise. „Ich durfte keine Nachtleuchte in meinem Zimmer haben, und mein Vater bestand darauf, dass das Licht ausgeschaltet wurde. Deshalb schmuggelte ich eine Kerze und Streichhölzer in mein Zimmer. Ich glaube, nur mein Schutzengel hat mich davor bewahrt, das ganze Haus in Brand zu setzen.“
„Eine Kerze …“ Nachdenklich sah David sich um. Jetzt begriff er, was die vielen Kerzenleuchter wirklich bedeuteten.
„Dummerweise habe ich die Kerze, die sonst hier oben steht, beim letzten Stromausfall
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