JULIA FESTIVAL EXTRA WEIHNACHTSBAND Band 03
Gegenangriff. Glaubte er wirklich, sie hätte sich nicht längst darüber den Kopf zerbrochen. Wenn Robbie zur Schule ging, zusammen mit anderen Kindern, würde er dann nicht irgendwann anfangen, Fragen zu stellen?
Völlig fertig mit den Nerven, stand sie plötzlich auf. „Ich koche uns Kaffee.“
„Und stecken den Kopf in den Sand?“
„Nein“, stritt sie schwach ab. „Was soll ich denn machen? Eine Geschichte erfinden, dass sein Vater gestorben ist? Oder wollen Sie einspringen, ohne zu wissen, ob Robbie wirklich Ihr Sohn ist?“
Selina ging in die Küche, füllte den Wasserkessel und knallte ihn auf den Herd. Was wollte Steven beweisen? Dass sie nicht in der Lage war, für Robbie zu sorgen? Angenommen, er ist sein Vater, dachte Selina, was dann? Würde er ihr den Jungen wegnehmen? Sie schloss die Augen und lehnte die Stirn an die kühle Wand. Das konnte er doch nicht tun, oder?
„Dass ich von Robbies Geburt nichts wusste, ändert nichts daran, dass ich eine gewisse Verantwortung habe“, hörte sie Steven hinter sich sagen.
Erschrocken richtete sie sich auf.
„Ich kann Sie doch wenigstens finanziell unterstützen“, schlug er vor.
„Ihr Geld brauche ich nicht“, widersprach sie erschöpft.
„Sind Sie sicher? Mit Stolz können Sie keine Rechnung bezahlen, Selina. Warum weigern Sie sich so hartnäckig, meine Hilfe anzunehmen? Ich dachte, Sie wären dankbar dafür …“
„Da haben Sie sich eben getäuscht.“
Nahe daran, die Geduld zu verlieren, packte Steven Selina am Arm und drehte sie zu sich herum. „Glauben Sie, ich könnte mit ansehen, wie mein Sohn auf Dinge verzichten muss, die für andere Kinder selbstverständlich sind? Geld allein macht zwar nicht glücklich, aber vieles im Leben einfacher. Heute Morgen im Garten“, fuhr Steven fort, „wollte ich von Robbie wissen, was er sich zu Weihnachten wünscht. Er hätte gern ein Fahrrad, glaubt aber nicht, dass er eins bekommt. Denn Peter hat ihm erzählt, nur ein Daddy könne so große Geschenke machen. Was meinen Sie, wie ich mich in dem Moment gefühlt habe, Selina?“
Sie konnte seine Betroffenheit nachempfinden und senkte den Blick. Sie hatte Mitleid mit Robbie, mit Steven und mit sich selbst. „Davon hat er nie etwas gesagt“, flüsterte sie.
Steven seufzte tief. Betrübt ging er in der Küche umher, nahm die Töpfe in die Hand, hob sie hoch, stellte sie wieder hin und machte Selina damit noch nervöser.
„Sie erwarten von mir, dass ich verschwinde? Robbie vergesse? Stimmt’s, Selina?“
„Nein … keine Ahnung“, rief sie hilflos. „Ich hatte ja keine Zeit, nachzudenken. Ihr plötzliches Auftauchen war ein Schock für mich. Mir ist nie in den Sinn gekommen, dass ich Robbies Vater begegnen könnte. Ich weiß nicht einmal, was ich erwartet habe …“
„Einen soliden Herrn?“, fragte Steven bitter und blieb vor Selina stehen.
„Vielleicht. Jedenfalls habe ich mir Robbies Vater irgendwie anders vorgestellt, nicht so …“ Selina suchte nach Worten, um Steven zu beschreiben, und zuckte hilflos mit den Schultern. Männlich? Energisch? Verwirrend attraktiv?
„Und ich habe nicht damit gerechnet, eine so wunderschöne Frau anzutreffen, launenhaft wie eine Katze. Eine Frau, die mich aus herrlichen grünen Augen verwirrend angeblickt und mich völlig durcheinandergebracht hat. Eine Frau mit verlockenden Lippen, denen ein Mann kaum widerstehen kann.“
„Nein“, stritt Selina fast unhörbar ab. Sie wollte Steven wegstoßen und fortrennen, das plötzliche Gefühl der Erregung abschütteln.
„Doch, Selina“, widersprach er leise, den Blick gebannt auf ihr ausdrucksvolles Gesicht gerichtet, während seine Hände auf ihren Schultern ruhten. „Ich bin bestenfalls ein Zyniker“, fuhr er fort, „schlimmstenfalls ein arroganter Kerl, der sich rücksichtslos durchsetzt. In meinem ganzen Leben habe ich nur einem einzigen Menschen vertraut, ihn geliebt, wenn Sie so wollen: Nathan Howe. Er gab mir seinen Namen, eine Identität – und Zeit. Zeit, erwachsen zu werden, zu lernen, und als ich mich schließlich in dieser schlechten Welt nach oben gekämpft hatte, starb er. Starb, bevor ich ihm danken und zeigen konnte, dass sein Vertrauen in mich nicht verschwendet war. Die Beerdigung war an dem Tag, als Julie kam …“
Selina sah zu Boden. „Deshalb hatten Sie also getrunken“, flüsterte sie.
„Ja.“
„Sie waren ein Waisenkind? Nathan Howe hat Sie adoptiert?“, fragte Selina und hob langsam den Blick, um Steven in die
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