JULIA FESTIVAL EXTRA WEIHNACHTSBAND Band 03
Gesicht blieb im Schatten und wirkte völlig fremd. Aber war er nicht auch ein Fremder, ein Mann, von dem sie so gut wie nichts wusste?
„Ich habe ein Feldbett in Robbies Zimmer aufgestellt. Es ist nicht sehr groß, aber sicher besser als das Sofa. Sie könnten allerdings auch in meinem Bett schlafen“, fügte Selina hinzu, bemüht, ruhig zu bleiben, während sie auf Stevens Antwort wartete.
„Neben Ihnen?“
„Nein!“, rief sie entsetzt aus. „Natürlich nicht neben mir! Oh“, stieß sie wütend hervor, als er schelmisch grinste, „ich gehe schlafen.“
Zitternd vor Kälte stand Selina in ihrem Zimmer am Fenster und betrachtete abwesend die tanzenden Schneeflocken. Hatte er Julie das auch gefragt? „Neben Ihnen?“ Und ihre Antwort war Ja gewesen? Diese Vorstellung tat irgendwie weh.
Weihnachten, dachte Selina, verzweifelt bemüht, die quälenden Gedanken abzuschütteln. Morgen war Heiligabend. Letztes Jahr hatte sie Weihnachten und Neujahr bei ihren Eltern auf Madeira gefeiert, wo sie jetzt lebten. Wo würde sie nächstes Jahr um diese Zeit sein?
Selina blieb noch eine ganze Weile am Fenster stehen und ließ ihren Gedanken freien Lauf, bis sie schließlich merkte, wie kalt ihr war. Sie griff hastig nach ihrem Nachthemd und verschwand im Bad.
Als Selina am nächsten Morgen aufwachte, ging ihr erster Blick zum Fenster. Es hatte aufgehört zu schneien. Der Himmel war wolkenlos und strahlend blau. Das kann doch nicht sein, dachte sie, nicht um acht in der Früh. Sie schaute auf die Uhr neben ihrem Bett und stellte entsetzt fest, dass es fast zehn war. Warum hatte niemand sie geweckt? Während Selina aus dem Bett sprang, hörte sie Robbies vergnügtes Lachen, das von unten nach oben drang. Sie zog den Morgenrock an und trat ans Fenster.
Mitten im Garten stand ein gewaltiger Schneemann, der von Robbie und Steven lautstark mit Schneebällen bombardiert wurde. Selinas Miene hellte sich auf. Das machte sichtlich Spaß. Plötzlich gab es ihr einen Stich. Robbie und sie hatten in den vergangenen Monaten auf jedes Vergnügen verzichtet. Ausflüge in den Zoo oder ans Meer kamen für sie, so kurz nach Julies Tod, nicht in Frage. Habe ich alles falsch gemacht? fragte sich Selina. Steven kannte Robbie erst wenige Stunden, dennoch schien er sich mühelos in ihn einfühlen zu können.
Im Kamin brannte bereits Feuer, als sie hinunterkam, der Frühstückstisch war gedeckt. Selina nippte an ihrem Tee und beobachtete Robbie und Steven durch das Küchenfenster. Sie verspürte den Wunsch hinauszugehen, aber würde sie die beiden nicht stören? Wie lächerlich! Steven war schließlich der Eindringling. Trotzdem wurde sie, Selina, von Selbstzweifeln geplagt.
Robbie erblickte Selina. Übermütig warf er einen Schneeball nach ihr, der mitten auf der Fensterscheibe landete. Sie drohte dem Jungen lächelnd mit der Faust. Er sah glücklich aus, seine Wangen glühten vor spielerischer Anstrengung, seine Augen leuchteten. Auch Steven wirkte wesentlich entspannter und schien sich glänzend zu amüsieren. Sein braunes Haar flatterte im Wind. Mit gespreizten Beinen stand er da, während er einen neuen Schneeball machte und Selina durch das Fenster ansah.
Er bedeutete ihr herauszukommen, doch sie schüttelte den Kopf. Lächelnd wandte Selina sich ab, um das Geschirr zu spülen. Jeder, der zufällig vorbeikam, musste sie für eine normale, glückliche Familie halten. Aber sie waren Fremde, vom Schicksal zusammengeführt. Einem verhängnisvollen Schicksal?
Nach dem Mittagessen gingen sie alle drei hinaus, um Schnee zu schippen. Warum, wusste Selina selbst nicht so genau. Sie würden nirgendwo hinfahren können, bevor der Räumungsdienst nicht da gewesen war. Aber immerhin wurde Robbie dabei müde, und das war gut so. Denn freiwillig gingen Kinder am Heiligabend nicht früh ins Bett.
Bereits seit drei Uhr lag Robbies Strumpf für den Kamin bereit. Ein Glas Sherry und ein Gewürzkuchen für den Weihnachtsmann standen auf dem kleinen Tisch im Wohnzimmer. Gegen sechs wurde Selina langsam ungehalten, weil Robbie ständig nach der Uhrzeit fragte.
„Zeit fürs Bett, Robbie“, mahnte Steven schließlich ruhig, aber bestimmt.
Mit einem listigen Blick, den Selina noch nie bei Robbie gesehen hatte, schaute er Steven an. „Ich muss noch nicht schlafen gehen. Selina schickt mich nie ins Bett, wenn ich nicht will.“
„Ich bin nicht Selina. Und wenn ich sage, Zeit fürs Bett, junger Mann, dann meine ich das auch so. Also keine
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