Julia Gold Band 0045
darüber nachzudenken, was passieren würde, wenn man sie einholte. Erleichtert atmete sie auf, als sie schließlich die vierspurige Autobahn erreichte. Jetzt ist es nicht mehr weit, beruhigte sie sich. Aber dann, ungefähr fünfzig Kilometer vor der Grenze, hörte sie hinter sich das Dröhnen eines Hubschraubers.
Obwohl sie sicher war, dass Sharif nicht darin saß, verspürte sie dennoch eine unerklärliche Freude, dass er sie nicht entkommen lassen wollte. Einige Minuten lang flog der Hubschrauber genau über ihr, ehe er vor ihr zur Landung ansetzte. Und zu allem Überfluss flog ein zweiter Hubschrauber heran, der hinter ihr landete, sodass ihr auf der Autobahn, auf der weit und breit kein anderes Auto zu sehen war, der Weg völlig abgeschnitten war. Aus beiden Maschinen, die offenbar zur Luftwaffe gehörten, sprangen bewaffnete Männer, die sich rasch an der Fahrbahn entlang aufstellten.
Leah nahm den Fuß vom Gas und brachte den Wagen zum Stehen. Dann stellte sie den Motor ab und blieb wie betäubt sitzen. Sogleich kamen zwei Männer auf das Auto zu, öffneten die Tür und bedeuteten Leah auszusteigen, was sie auch tat. Dann forderte man sie auf, den Schleier abzulegen, um sie zu identifizieren. Sekundenlang starrten die Männer auf ihr langes blondes Haar, bis man sie schließlich mitzukommen bat.
Während sie ihnen zum Hubschrauber folgte, überlegte Leah wieder, ob das alles ein abgekartetes Spiel war. Eines war ihr jedoch völlig klar: Sharif al Kader würde ihr seinen Unmut über die versuchte Flucht deutlich zu verstehen geben. Sie musste sich auf einiges gefasst machen.
9. KAPITEL
Leah saß wie betäubt da und nahm nichts um sich her wahr. Völlig deprimiert ließ sie sich nach der Landung aus dem Hubschrauber helfen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie sich nicht in der Wüste befanden, sondern auf dem Gelände des Palastes von Zubani.
Obwohl sie gar nicht in der Stimmung war, die beeindruckend elegante Architektur des weißen Gebäudes zu bewundern, gab sie doch insgeheim zu, dass es einen viel erfreulicheren Anblick bot als die Festung in der Oase von Shalaan. Das Bauwerk neueren Datums spiegelte den Reichtum des Landes wider, und Leah fiel sogleich auf, dass die Fenster nicht vergittert waren.
Sie freute sich über den Anblick von Gras, blühenden Pflanzen und Sträuchern und imposanten Dattelpalmen. Sogleich erinnerte sie sich an den Garten, der zu ihrer Suite in Qatamah gehört hatte und den sie vermisste. Allerdings rechnete sie nicht damit, dass man ihr Spaziergänge erlauben würde. Dennoch empfand sie es als Erleichterung, endlich wieder etwas anderes als nur Wüste und Berge am Horizont zu sehen.
Aber sie hatte nicht viel Zeit, die Umgebung zu bewundern, denn man führte sie sogleich in den Palast. Dort übergab man sie der Palastwache, von der sie offenbar bereits erwartet wurde und die sie geradewegs zum Scheich geleitete. Sie durchquerten das riesige Foyer mit dem kuppelförmigen Dach und gelangten dann über einen weitläufigen Flur zu einer breiten Doppeltür, die vor ihnen geöffnet wurde. Als Leah in den Raum ging, bemerkte sie auf einmal, dass sie sich in einer unglaublich faszinierenden Kunstgalerie befand. Gemälde alter Meister und aus dem Impressionismus hingen an den Wänden, alles Werke berühmter Maler. Kein Wunder, dass Sharif sich mit Rubens so gut auskennt, fuhr es ihr durch den Kopf.
Doch dann konnte sie die Kunstwerke nicht länger betrachten, denn Sharif al Kader erhob sich von der Bank in der Mitte des Raums. Auf unerklärliche Weise fühlte Leah sich mit ihm verbunden, ob es ihr nun gefiel oder nicht. Ihr wurde bewusst, wie froh sie war, ihn wiederzusehen. Als sie ihm in die Augen schaute, ging es ihr schon viel besser. Das dumpfe Gefühl der Resignation und Verzweiflung verschwand rasch. Stattdessen empfand sie plötzlich eine wunderbare Ruhe und war bereit, sich seiner Reaktion auf ihren Fluchtversuch furchtlos und gelassen zu stellen.
„Ah! Du bist inzwischen angekommen“, stellte er zufrieden fest.
Abwartend blieb Leah stehen, sie rechnete jeden Augenblick mit einem Zornesausbruch.
Doch Sharif runzelte nur die Stirn, während er auf Leah zuging. „Ich habe dir doch gesagt, dass du kein Schwarz tragen sollst“, meinte er.
Leah blickte ihn ungläubig an. Sie verstand nicht, warum er in dieser Situation eine so überflüssige Bemerkung machte.
Dann löste er den Verschluss ihres Umhangs, streifte ihn über ihre Schultern und warf ihn achtlos zur
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