Julia Gold Band 0045
verstehen musst.“
„Habe ich eine andere Wahl?“
Er stand einen Moment lang schweigend da. Sie lauschte seinem tiefen, gleichmäßigen Atem. Um sich herum hörte sie plötzlich wieder die Geräusche der Nacht und nahm den Duft der Blumen wahr. In den vergangenen Minuten hatte sie sich wie in einem luftleeren Raum gefühlt, aber jetzt war die Umgebung wieder da. Und das schmerzte sie. Die kostbare, wunderschöne Welt mit all ihren Farben und Düften, mit der Liebe und der Freude … wie lange würde sie das noch erleben?
„Caroline“, sagte er schließlich.
„Wenn ich die Wahl habe, Kaifar, will ich diesen Ort verlassen. Wenn ich keine Wahl habe, erwarte ich den Befehl Eurer Königlichen Hoheit. Aber ich werde nicht so tun, als würde ich mich gern in deine Gesellschaft begeben.“
„Dann befehle ich dir, mit nach oben zu kommen“, erwiderte er gelassen, und in diesem Moment glaubte sie ihm, dass er ein Prinz war. Sein herrisches Auftreten passte dazu.
Plötzlich spürte sie auch ihr Herz wieder, und heftiger Kummer durchflutete sie. Wortlos wandte sie sich zum Gehen und schritt vor ihm her durch den niedrigen bogenförmigen Eingang, der ihr noch vor wenigen Stunden wie die Tür zu einem Zauberreich erschienen war.
Das Essen wurde aufgetragen, als sie eintraten. Es duftete köstlich, und zu ihrem Ärger bemerkte Caroline, dass sie Appetit bekam. Die Aufregung der vergangenen Stunde hatte Energie verbraucht. Obwohl sie sich hinsetzte, als ihr der Kellner den Stuhl zurechtrückte, schüttelte sie den Kopf und lehnte ab, sich etwas aus dem Brotkorb zu nehmen, den Kaifar ihr reichte.
„Ich möchte bitte zuerst deine Erklärung hören“, bemerkte sie kalt und verschränkte ihre Hände im Schoß.
„Iss, Caroline“, drängte er. „Du hast seit heute Morgen nichts mehr gegessen, glaube ich.“
„Ich werde nicht in deiner Gegenwart essen.“
Er musterte sie abschätzend und erriet sofort, was sie damit bezwecken wollte. „Du wirst zuerst etwas essen, sonst bekommst du keine Erklärung.“
„Ich habe keinen Hunger.“
Er beugte sich ein wenig vor. „Das stimmt nicht. Wenn du in einen Hungerstreik treten willst, Caroline, wirst du es tun, ohne die Gründe zu kennen, warum ich dich als Geisel genommen habe.“
Einen Moment lang saß Caroline da und starrte ihn an. Ohne lange Überlegung war ihr klar, dass sie vielleicht gegen ihr Hungerbedürfnis angehen konnte, Ungewissheit aber nicht aushalten würde. Das wäre eine unerträgliche Qual. Sie musste hören, was passiert war und welches Schicksal auf sie wartete.
Verärgert schimpfte sie vor sich hin und nahm ein Stück ‚naan‘. Kaifar füllte ihr einen Teller mit den köstlichen Speisen. Dann, als sie anfingen zu essen, lächelte er. Aber Caroline schaffte es nicht, das Lächeln zu erwidern. Sie fühlte sich zu sehr verletzt und musterte ihn abweisend.
„Schön, ich esse.“ Die Henkersmahlzeit! „Nun, warum sagst du mir nicht, was du mit mir vorhast? Ist das meine letzte Mahlzeit? Wenn ja, sollte ich sie wohl besonders genießen, trotz der Gesellschaft, in der ich mich befinde.“
„Es ist nicht deine letzte Mahlzeit. Niemand wird dir etwas antun“, erwiderte er und überging ihren Sarkasmus. „Caroline, erinnerst du dich an die Geschichte über die drei Söhne des Scheichs von Barakat?“
„Wie kann ich die vergessen haben?“
„Ich bin einer dieser drei Söhne und heiße Karim. Scheich Daud war mein Vater. Als er starb, fiel mir dieser Teil von Barakat, der heute Westbarakat genannt wird, zu. Außerdem wurde einer der königlichen Schätze, nämlich das Smaragdsiegel unserer Vorfahren von Shakur, in meine Obhut gegeben. Um dieses Siegel rankt sich eine bedeutende Sage, nach der ein Monarch nur so lange regieren wird, wie Shakurs Juwel in seinem Besitz ist.“
„Faszinierend“, spottete sie.
Er beachtete ihre Bemerkung nicht. „Die Wüstenstämme halten an diesem traditionellen Glauben fest. Wenn das Siegel verloren ginge oder gestohlen würde, bekämen viele Angst um die Zukunft, aber manche würden die Gelegenheit nutzen und meine Herrschaft sowie die meiner Brüder als rechtmäßig anzweifeln. Ein Bürgerkrieg wäre dann unausweichlich. Er würde Leben kosten und viel Leid bringen. Umliegende Nationen könnten die Schwäche ausnutzen.“
„Danke für den Einblick in die Probleme des Scheichtums“, begann sie. „Ich nehme an …“
Er unterbrach sie. „Dein Verlobter, David Percy, hat das Große Juwelsiegel von Shakur
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