Julia Gold Band 51
dunkelbraune Augen und einen zarten Knochenbau, aber Clio war sich bewusst, dass sie mit ihrer Schwester nicht konkurrieren konnte. Zaras Haar fiel in dichten Locken auf ihren Rücken, während ihres glatt war. Mit den leicht schräg stehenden Augen und der zerbrechlichen Figur wirkte Zara wie eine Märchenfee. Dunkle, gerade Brauen zierten Clios Augen und ließen sie ernst erscheinen. Sie hatte lange dichte Wimpern und volle sinnliche Lippen wie ihr Vater anstatt des herzförmigen Mundes, den Zara von der Mutter geerbt hatte.
Im Alter von elf Jahren war Clio bereits größer und kräftiger gewesen als ihre ältere Schwester. Und obwohl sie jünger war, hatte sie sich für Zara verantwortlich gefühlt und sich für sie eingesetzt. Dabei vermochte ihre Schwester sehr wohl auf sich selbst aufzupassen.
So wie jetzt auch. Zara hatte Jalal verziehen, was er ihr angetan hatte. Clio war sicher, dass sie das nie fertigbringen würde. Zara hatte sogar ihre Familie gebeten, ihn über den Sommer aufzunehmen, damit er seine Englischkenntnisse verbessern konnte, bevor er sich an einer Universität einschrieb.
Clio war entsetzt gewesen und hatte sich gegen seine Bewirtung gewehrt. Aber sie hatte verloren. Jetzt war sie hergekommen, um Jalal, den Banditen, abzuholen, dessen Flugzeug hier im Inneren von Ontario gelandet war, dem herrlichsten Feriengebiet, in dem ihre Familie lebte und arbeitete.
Jalal stand mit zwei Reisetaschen am Anlegeplatz. Er hatte sich den gepflegten Bart abrasiert. Vielleicht hoffte er, dass er dadurch eher zu ihnen passen würde. Aber diese Hoffnung machte er sich vergebens. So wie er die Schultern hielt und das Kinn reckte, während er sich suchend umschaute, würde er unter all den Männern, die sie kannte, sofort herausragen.
Sie rief ihn, während sie sich mit dem Boot der Anlegestelle näherte. Der Wasserstand der Seen war dieses Jahr niedrig, und Jalal stand sehr hoch.
„Clio!“, begrüßte er sie freundlich. Offenbar wollte er so tun, als sei alles vergessen. Sie biss die Zähne aufeinander. Das konnte er sich sparen.
„Prinz Jalal“, erwiderte sie knapp. „Können Sie ins Boot springen? Aber werfen Sie zuerst Ihre Taschen rein.“
Er musterte sie prüfend und nickte, als würde er sich selbst etwas bestätigen. Sein Freundschaftsangebot war damit hinfällig. Clio war froh darüber. Gut, dass er gleich begriff, woran er bei ihr war.
„Danke“, sagte er und warf seine Taschen ins Boot.
Dann musterte er das leicht schaukelnde Boot, als versuchte er ein rätselhaftes fremdartiges Kunstwerk zu verstehen. Clio fiel ein, dass er wahrscheinlich noch nie in ein unvertäutes Boot gesprungen war.
Und dieser Mann sollte ihrem Vater mit dem Bootsverleih helfen? Damit hatten ihre Eltern nämlich ihren Protest erstickt. Da Jude in die Stadt umgesiedelt war, brauchten sie jemanden.
„Hier, nehmen Sie meine Hand“, bot sie ihm kühl an, wie sie es bei jedem anderen Neuankömmling auch machen würde, wandte sich zum Steuer und hielt es mit der anderen Hand fest. „Treten Sie zuerst auf den Sitz.“
Sie rechnete halbwegs damit, dass er sich weigern würde, die Hilfe einer Frau anzunehmen, aber er beugte sich vor und nahm ihre Hand. Als seine Finger ihre berührten, schnappte Clio nach Luft. Es war, als hätte ein Blitz sie getroffen, und rasch zog sie ihre Hand zurück.
Jalal bemühte sich, sein Gleichgewicht wiederzugewinnen, doch das gelang ihm nicht, und außerdem glitt das Boot genau in dem Moment ein Stück weg, als er hinabfiel. Ungeschickt landete er mit einem Fuß auf dem Sitz, kam mit dem anderen auf dem Boden auf, schlidderte und streckte seine Hände unwillkürlich nach Clio aus.
Sie fasste automatisch nach ihm, und so sanken sie sich förmlich in die Arme. Jalal kniete vor ihr und hielt sie umfangen, den Kopf an ihre Brüste gepresst, und Clio hatte ihre Arme um seine Schultern geschlungen.
Unter ihren Händen spürte sie seine Körperwärme und seinen Atem an ihrem Hals. Einen Moment lang spiegelte sich die Sonne mit einer Helligkeit auf dem Wasser wider, dass ihr die Augen schmerzten.
Plötzlich packte Clio der Zorn. „Nehmen Sie Ihre Hände weg!“, verlangte sie.
Jalal richtete sich auf und musterte sie verärgert. „Was wollten Sie damit beweisen?“, fragte er gepresst.
Bei seinem durchdringenden Blick errötete Clio. „Das war keine Absicht. Was halten Sie von mir?“
Reglos schaute er ihr ins Gesicht. „Ich halte Sie für eine Frau, die die Dinge auf ihre Art sieht.
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