Julia Liebeskrimi Band 09
sie verzweifelt. „Er ist voller Gepäck.“
„Ich habe ihn gesehen. Darum wusste ich, dass Sie hier unten sind.“
„Wie können Sie die Koffer und die Kameraausrüstung hinten drin übersehen haben? Ich verlasse Chalo Canyon, Sebastian. Ich schwöre es, ich fahre ab.“
Sein Lächeln, das nur eine leichte Verschiebung seiner Gesichtsmuskeln war, bewirkte, dass Sydney ein kalter Schauer über den Rücken rieselte.
„Das hat Marianne auch gesagt.“
„Wer?“
„Meine Frau. Sie war ein Miststück, genau wie Sie. Das Einzige, was ich ihr zu verdanken habe, ist Jamie.“ Sein Lächeln erstarb und machte einem Ausdruck kalter Wut Platz. „Und selbst in diesem Punkt hat sie mich noch verhöhnt, indem sie mir einzureden versuchte, Jamie wäre nicht mein Sohn.“
Mit einer eisigen Entschlossenheit, bei der Sydney das Grausen packte, entsicherte er die Pistole. Sydney hob die Hände und unternahm einen verzweifelten Versuch, vernünftig mit dem Mann zu reden.
„Sebastian! Warten Sie! Ich bin nicht nach Chalo Canyon gekommen, um Ihnen oder Ihrem Sohn in irgendeiner Weise Schaden zuzufügen, ich wollte nur diesen Film machen. Das müssen Sie mir glauben!“
„Ich glaube Ihnen“, sagte er grimmig. „Ich habe Ihnen immer geglaubt.“
„Aber warum … Was …?“
„Warum ich Sie dennoch töten muss? Weil ich nicht will, dass dieser Film gemacht wird.“
Der Wind peitschte Sydney das Haar ins Gesicht. Sie wagte nicht, es sich aus den Augen zu schieben, weil sie befürchtete, die Bewegung könnte den Mann vor ihr zu einer Reaktion veranlassen.
„Meine Dokumentation wird die Anasazi nicht entehren. Wenn überhaupt, wird durch sie höchstens das Interesse an den Ureinwohnern geweckt.“
„Sie Dummkopf! Ist Ihnen noch nicht in den Sinn gekommen, dass ich genau das fürchte? Ihr verfluchter Film wird jedes Mal, wenn das Staubecken trockengelegt wird, ganze Horden von Archäologen und Anthropologen auf den Plan rufen. Womöglich steigen sogar das ganze Jahr über Taucher in das Staubecken hinab und schnüffeln auf der Suche nach Kunstwerken in den Ruinen herum.“
„Aber …“
Seine Augen schossen zornige Blitze. „Verstehen Sie nicht? Ich will sie nicht dort unten haben! Genauso wenig, wie ich wollte, dass Sie die alten Geister stören!“
„Sie meinen die weinende Frau? Aber das ist doch nur eine Legende.“
Jetzt war das Lächeln wieder da, so kalt, so erschreckend, dass Sydneys Herz vor Angst zu einem Eisklumpen erstarrte.
„Meinen Sie?“
Ihr Kopf war für mehrere Sekunden leer. Absolut leer. Dann kamen ihr plötzlich die Gerüchte in den Sinn, die sie bei ihren Interviews aufgeschnappt hatte, und explodierten in ihrem Kopf wie ein Schrapnell.
„O mein Gott! Sie ist da unten, stimmt’s? Ihre Frau? Lula sagte …“ Sydney versuchte verzweifelt, sich an das Interview mit den Jenkins-Schwestern zu erinnern. „Sie sagte, dass sie die Legende von der weinenden Frau zum ersten Mal vor dreißig Jahren gehört hat. Von Ihnen … nicht lange nachdem Ihre Frau verschwunden war.“
Sydney, der das Herz bis zum Hals klopfte, befeuchtete sich die Lippen. „Die Geschichte hat Lula so erschreckt, dass sie sich nie mehr in den Canyon getraut hat. Das war Ihre Absicht, nicht wahr? Deshalb haben Sie das Märchen von der weinenden Frau erfunden. Um die Leute von den Ruinen fernzuhalten.“
„Ich habe es mir nicht alles aus den Fingern gesogen. Ich hörte in meiner Kindheit ein ähnliches Märchen und habe es nur noch ein bisschen ausgeschmückt.“
Er verzog verächtlich die Lippen. „Es passte ganz gut, finden Sie nicht? Marianne hatte vor, mich wegen eines anderen zu verlassen. Ich habe nie erfahren, wer es war. Als sie drohte, Jamie mitzunehmen, wusste ich, dass sie Chalo Canyon nicht lebend verlassen durfte. Sie wurde die weinende Frau, die ihre verlorene Liebe beklagte.“
„Sebastian …“
„Sie liegt seit mehr als dreißig Jahren unter dem Geröll in diesem Turm. Sie hätte bis in alle Ewigkeit dort schlafen können, wenn Sie nicht auf die Idee gekommen wären, in diesen Ruinen herumzuschnüffeln und Ihren verdammten Film …“
Ohne Vorwarnung brach der Himmel auf. Ein Donnerschlag krachte. Instinktiv krümmte Sebastian die Schultern und riss für eine Sekunde den Kopf herum, um zu sehen, wo der Blitz eingeschlagen hatte. Nur für eine Sekunde.
Sydney wusste, dass diese Sekunde alles war, was sie hatte. Sie schlang sich den Schulterriemen um die Hand und holte mit voller Wucht
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