Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 05

fragte Xenia sofort.
    Soraya räusperte sich befangen. „Xenia, ich hätte gar nicht davon anfangen dürfen. Dein Großvater wollte nicht … Wir mussten ihm alle schwören, es für uns zu behalten, weil er nicht wollte, dass deine Mutter sich schuldig fühlen würde …“
    „Meine Mutter?“ Xenia sah ihre Tante entschlossen an. „Hör zu, ich werde dieses Zimmer nicht eher verlassen, bis du mir alles erzählt hast!“
    „Ach herrje! Also gut … ich nehme an, es macht jetzt auch nichts mehr, wenn du alles erfährst. Immerhin wollte dein Großvater nur deine Mutter beschützen. Weißt du, er hat seine Söhne auch geliebt, aber deine Mutter war für ihn etwas ganz Besonderes, wie es die einzige Tochter oft für den Vater ist. Wenn ich Hassan glauben soll, hat er sie furchtbar verwöhnt … aber ich nehme an, ältere Brüder haben da ihre ganz eigene Sicht. Als sie dann mit deinem Vater auf und davon ist, war dein Großvater außer sich vor Zorn … und Verzweiflung. Er hatte so große Pläne für sie! Dein Onkel Hassan, mein Mann, fand ihn zusammengesunken an seinem Schreibtisch, das Foto deiner Mutter in der Hand. Die Ärzte glaubten zunächst, er würde den schweren Infarkt nicht überleben … und er war sehr lange sehr krank. Ach …“, Soraya blickte besorgt in Xenias blasses Gesicht, „ich hätte es dir doch nicht erzählen sollen … nicht heute!“
    „All die verlorenen Jahre“, flüsterte Xenia traurig, „die sie zusammen … als eine Familie hätten verbringen können! Aber mein Vater … er hat es doch versucht, er hat Großvater geschrieben und ihm Fotos geschickt.“
    Soraya seufzte erneut. „Das musst du verstehen, Xenia … dein Großvater ist ein sehr stolzer Mann. Er konnte den Friedenszweig aus der Hand deines Vaters nicht annehmen. Für ihn war nur wichtig zu wissen, ob deine Mutter ihn noch liebte und er noch einen Platz in ihrem Leben hatte.“
    „Und sie glaubte, dass er ihr nie verzeihen würde“, sagte Xenia kopfschüttelnd.
    „Als dann die Nachricht kam, dass deine Eltern beide umgekommen seien … du kannst dir nicht vorstellen, wie schlimm das für deinen Großvater war. Er konnte es nicht glauben, wollte es einfach nicht akzeptieren, dass er seine Tochter für immer verloren hatte. Sein zweiter schwerer Herzinfarkt war für uns vor allem ein Zeichen, dass er nicht mehr leben wollte. Glücklicherweise erholte er sich doch. Dann war es sein größter Wunsch, dich zu uns zu holen, aber dein Patenonkel hielt es unter den Umständen für das Beste, dass du erst einmal in deiner vertrauten Umgebung bleiben würdest. Es war vermutlich eine kluge Entscheidung. Dennoch gab dein Großvater die Hoffnung nicht auf. Auf seine Bitte hin hat Hassan schließlich deinen Patenonkel in London getroffen und ihn gebeten, dich zu einem Besuch hier zu überreden. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich du deinen Großvater heute machst, Xenia. Ich wünsche dir alles Glück der Welt, mein Kind, denn du hast es verdient!“
    Soraya nahm sie in den Arm und drückte sie an sich, und Xenia blinzelte gerührt gegen Tränen an. Benommen ging sie hinaus, wo ihr Großvater bereits im Wagen auf sie wartete. Plötzlich sah Xenia ihn mit ganz anderen Augen … mit liebevollen, mitfühlenden Augen. Als sie sich neben ihn auf die Rückbank setzte, tastete sie spontan nach seiner Hand. Er nahm ihre sofort und drückte sie.
    „Sie dürfen die Braut jetzt küssen!“
    Xenia stand starr und reglos da, als Rashid sich zu ihr herabbeugte. In allerletzter Sekunde wandte sie das Gesicht zur Seite, damit der pflichtmäßige Kuss nur ihre Wange treffen würde. Doch Rashid schien es vorausgeahnt zu haben und umfasste ihr Gesicht … was für die zuschauenden Hochzeitsgäste zärtlich und liebevoll aussehen musste. Nur Xenia wusste, dass er sie tatsächlich lediglich daran hinderte, ihm auszuweichen und damit gleichzeitig zum ersten Mal seine Rechte als Ehemann unmissverständlich geltend machte.
    Sie bebte innerlich vor Zorn, als seine Lippen ihre berührten. Sie hatte ihm geglaubt, hatte ihm vertraut, hatte ihn geliebt, und er hatte sie die ganze Zeit getäuscht und belogen. Wie sollte sie ihrem eigenen Urteil je wieder vertrauen können? Sie würde ständig auf der Hut sein müssen … gegen ihre eigenen Gefühle und gegen ihn.
    Sein Kuss, so zärtlich und liebevoll, war eine weitere Lüge, eine weitere Täuschung. Und dennoch ertappte Xenia sich für einen Moment dabei, sich zu wünschen, er wäre ehrlich