Julia Saison Band 11
nach einem prüfenden Blick in dessen Augen erkannte, doch klugerweise ließ er kein Wort davon verlauten.
Marcos legte seinem Bruder beruhigend eine Hand auf die Schulter, die vor Anspannung ganz verkrampft war.
„Schau, Javier, du solltest den Ärzten eine Chance geben“, beschwor er ihn. „Sie wissen, was sie tun, und sind mit dieser Art von … Problemen viel vertrauter als du.“
Javiers dunkle Augen wurden schmal vor Ärger. „Es ist mein Körper, und niemand ist damit vertrauter als ich“, beharrte er eigensinnig. „Tu mir gegenüber nicht so scheinheilig“, warnte er. „Sie wollten Wendy auch hierbehalten, aber sie hat sich durchgesetzt, und du hast sie mit nach Hause genommen – wie sie es wollte.“
Marcos schüttelte den Kopf. „Das war etwas anderes.“
„Wieso denn?“ Javier bemerkte, dass seine Stimme sich schon wieder überschlug, und er zwang sich, leiser zu sprechen. „Weil Wendy deine Frau ist und ich nicht?“
„Ich will dich nicht beleidigen, Javier, aber du würdest eine ziemlich hässliche Ehefrau abgeben“, lachte Marcos laut auf und hoffte, seinem Bruder damit ein Lächeln zu entlocken. Leider vergeblich. „Es ist ein Unterschied, weil wir nicht wissen, wie lange Wendy in der Klinik hätte bleiben müssen. Sie hat jetzt zwar ihre eigenen vier Wände um sich, aber sie hat immer noch strikte Bettruhe und darf nicht aufstehen.“ Javier hatte sein Gesicht abgewendet, aber Marcos redete weiter. „Nachdem die Ärzte dich jetzt aus diesem künstlichen Koma geholt haben, haben sie einen Zeitplan für dich aufgestellt.“
„Ich bin nicht an deren Zeitplan interessiert“, blaffte Javier.
„Das solltest du aber sein“, erwiderte Marcos fest. „Glaub mir, die Ärzte wollen dich hier nicht länger behalten als nötig. Aber hier können sie dir helfen und mit dir arbeiten.“
„Es gibt nichts, woran man arbeiten müsste“, gab Javier kalt zurück und starrte auf die beiden unbeweglichen Gliedmaßen unter der Decke. „Gut, wenn ich bleiben muss, dann bleibe ich eben. Es ist eh egal. Aber sag allen, dass ich keine Besuche mehr möchte.“
„Warum nicht?“, fragte Marcos, überrascht über die neue Wendung.
„Weil ich nicht will, dass man mich so sieht, deshalb“, stieß er zwischen zusammengepressten Lippen hervor.
„Was meinst du mit so ?“, hakte Marcos nach.
„Wie ein halber Mann!“, rief Javier aus. „Jetzt ist es raus. Bist du jetzt glücklich? Ich bin nur noch ein halber Mann.“
„Das ist doch nur vorübergehend.“
„Woher willst du das denn wissen?“, schrie Javier.
„Weil ich es eben weiß“, schrie Marcos zurück, ehe er sich zusammenriss und leiser fortfuhr: „Sobald die Schwellung deines Rückenmarks zurückgeht, wirst du die Beine wieder völlig normal bewegen können – und selbst wenn du es nicht könntest“, beharrte er, „wer du bist, beschränkt sich doch nicht auf deine Beine. Du bist nicht du aufgrund deiner Arme oder Beine oder irgendeines andern verdammten Körperteils. Du bist Javier Mendoza wegen deines Inneren, deiner Seele, wegen dem, was hier drin ist“, sagte er und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. „Verstehst du? Und jetzt hör auf, dich zu bemitleiden. Konzentrier dich lieber auf deine Genesung.“
„Du klopfst ziemlich große Sprüche, weißt du das?“, erwiderte Javier scharf, aber seine Stimme war schon etwas leiser. „Kommt das von der Ehe?“ Die Frage war nicht wirklich ernst gemeint, denn auch wenn Wendy jeden Moment ihr erstes Kind erwartete, so waren Marcos und sie doch erst seit etwas mehr als einem Monat verheiratet. Ein Monat, den er komplett verpasst hatte, wie Javier in kläglichem Frust dachte.
„Nein, der Tornado ist der Grund“, antwortete Marcos. „Aber im Ernst, ich meine es wirklich so. Hör auf zu jammern und sei dankbar, dass du noch am Leben bist und gesund werden kannst. Nicht jeder hatte so viel Glück wie du“, beendete er seine Rede.
„Du hast leicht reden“, sagte Javier mit einem Schulterzucken und schaute aus dem Fenster.
„Leicht reden?“, wiederholte Marcos ungläubig. Es kam ihm vor, als habe er in den letzten fünf Wochen nicht mehr als fünf Stunden geschlafen. „Seit diesem Tornado und seit sie dich aus den Trümmern herausgezogen haben, versuche ich mich in zwei zu teilen, um für Wendy und dich da zu sein.“
„Ich lag im Koma“, betonte Javier. „Es gab keinen Grund …“
„Es gab sehr wohl einen Grund“, unterbrach Marcos ihn. „Wir haben
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