Julia Saison Band 11
servierte Merritt.
Cain wusste, dass sie sich zusammenriss, um ihre Verletzlichkeit nicht zu zeigen, doch er sah, dass ihre Hände leicht zitterten. Er konnte nicht widerstehen und legte einen Moment lang seine Hand auf ihre.
„Was möchtest du essen?“, fragte sie. „Du hast bestimmt einen Bärenhunger.“
Mit einem Seufzer zog Cain seine Hand zurück. „Lasagne.“
„Ja, die riecht gut“, sagte Merritt leise.
Wie das Schicksal es wollte füllte sich Merritts Bereich rasch mit Gästen. Ob und wie sie trotzdem ihre Back-Aufträge erledigte, wusste Cain nicht, doch Kunden kamen und gingen wieder, beladen mit Schachteln, während die Gäste an den Tischen sie zusätzlich auf Trab hielten.
Cain zwang sich, den Blick von ihr zu lösen, und bemerkte, dass Nikki ihn beobachtete. Er fluchte leise und griff nach seiner Brieftasche.
„Kein Nachtisch?“, fragte Merritt, die ihm die Rechnung brachte und sein Geschirr abräumte.
„Bin zu satt. Stimmt so“, sagte er und legte einen Geldschein auf die Rechnung. Leise fügte er hinzu: „Zum Feierabend hole ich dich ab.“
„Nur, wenn es keine Umstände macht“, sagte sie genauso leise. „Einen schönen Abend“, wünschte sie ihm munter, sodass die anderen Gäste es hörten. „Beehren Sie uns wieder.“
Das Wetter spielte weiter mit, und am Mittwoch, als Merritt gegen Mittag nach Hause kam, hatte Cain das klaffende Loch im Dach geschlossen. Aber er hatte auch noch mehr getan. Auf einer Seite der Scheune befand sich jetzt ein Schornstein.
Neugierig, wie die Scheune von innen aussehen mochte – und viel zu versessen auf jede Gelegenheit, mit Cain zusammen zu sein –, ging Merritt hinüber und klopfte an die Tür, obwohl beide Flügel weit geöffnet waren. Cain stand mitten in der Scheune über einen alten eisernen Ofen auf einem Ziegelsockel gebeugt.
„Jetzt kann es gern wieder schneien“, sagte sie zur Begrüßung. Sie war beeindruckt von seiner zügigen, guten Arbeit.
„Hey, ist es schon so spät?“ Cain begrüßte sie mit einem warmen Lächeln. „Wie hat es geklappt? Bist du fertig mit den Sonderaufträgen?“
„Die letzte Bestellung wurde erst kurz vor Ladenschluss abgeholt.“ Sie holte tief Luft, stand noch völlig unter Adrenalin. „Ich kann es nicht fassen, dass ich bis Weihnachten Pause habe. Und dass wir bis Freitag freihaben“, fügte sie hinzu. „Na ja, abgesehen davon, dass wir uns selbst versorgen müssen.“
„Wir uns?“ Eine merkwürdige Unsicherheit spiegelte sich in seiner Miene. „Du solltest dich mal einen Tag lang selbst verwöhnen, Merritt. Du hetzt dich ständig ab.“
„Und was hast du vor? Cain Paxton, sei nicht albern. Wir feiern unser eigenes Fest. Alvie und Leroy kommen auch.“ Als er nicht gleich reagierte, fragte sie sich, ob sie etwas falsch gemacht hatte. „Ich hätte dich vorher fragen müssen. Du hast andere Pläne, oder?“
„Ja“, setzte er langsam an. „Der alte Mann hat mich zu sich auf die Ranch eingeladen.“
Seine Stimme troff vor Hohn. Trotzdem atmete Merritt auf. „Wenn das doch wahr wäre.“
„Das wünsche ich mir nicht“, entgegnete er. „Ich würde nicht gehen.“
Am folgenden Morgen konnte Merritt es kaum erwarten, aus dem Bett zu steigen und den Tag in Angriff zu nehmen. Es war gut, dass sie zur gewohnten Zeit aufgestanden war, denn sie ließ sich viel zu viel Zeit für ihre äußere Erscheinung. Dank ihrer erfolgreichen Festtagsaufträge hatte sie sich eine Kauforgie in der einzigen Boutique der Stadt gegönnt. Es war das erste Mal, dass sie den Wunsch dazu verspürt hatte.
Sie hatte gerade eine Kassette mit Musik von Brahms eingelegt, sich den ersten Becher Kaffee eingeschenkt und die Schürze vorgebunden, als es an der Hintertür klopfte. Zweifellos hatte Cain gesehen, dass Licht brannte.
„Oha, wer bist du denn?“, fragte er, als er sie sah. Er hatte Kleidung zum Wechseln unter dem Arm und wäre vor Verblüffung fast über eine Treppenstufe gestolpert. „Was hast du mit der Motte gemacht?“, zog er sie auf.
Merritt lachte entzückt und trat zur Seite, um ihn einzulassen. „Fröhliches Thanksgiving. Fühl dich wie zu Hause. Möchtest du einen Becher Kaffee in die Dusche mitnehmen?“
„Herzlich gern. Merritt … du siehst hinreißend aus“, fügte er mit heiserer Stimme hinzu.
Zum Dank konnte sie nur nicken; sie traute ihrer Stimme nicht. Niemand hatte sie je als hinreißend bezeichnet, und es war auch nicht wichtig, ob er lediglich nett sein wollte. Sie
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