Julia Saison Band 11
Auch, wenn es ganz unschuldig war. Es könnte uns eine Reihe unserer frommen Gäste kosten.“
„Alvie, du lebst mit Leroy zusammen, und das hat deinem Geschäft bisher auch nicht geschadet.“
„Ach, was“, sagte Alvie mit einer wegwerfenden Geste. „Weil wir uralt sind. Das interessiert niemanden.“ Die Ältere sah Merritt hoffnungsvoll an. „Dann kommst du also zurück? Du denkst über mein Angebot nach? Die wenigen Gäste, die heute gekommen sind, haben nach dir gefragt. Nach dir, nicht nach Nikki. Die Leute wollen nicht nur deine Backwaren.“
„Glaub bitte nicht, dass ich dich hinhalten will, aber ich muss noch ein paar Sachen überdenken“, gestand Merritt. „Trotzdem komme ich von Herzen gern zurück.“
Alvie gab sich Mühe, ihre Antwort mit Fassung zu tragen. „Ich will versuchen, dich nicht zu bevormunden.“ Sie deutete nach draußen. „Cain kannst du meinetwegen sagen, er kann, falls er Arbeit sucht, damit anfangen, die Scheune zu reparieren. Du weißt ja, ich wollte schon ein paar Mal jemanden damit beauftragen, aber ehrlich … Die Kerle, die arbeiten wollen, haben Jobs. Die restlichen arbeiten nur dann, wenn ihre Frauen sie mit vorgehaltener Flinte aus dem Haus jagen.“
„Cain ist weg.“ Merritts Kehle schnürte sich zusammen. „Ich glaube nicht, dass er zurückkommen will.“
5. KAPITEL
Merritt nahm die Arbeit im Café tatsächlich wieder auf, und zum Ende der Woche schien sich alles normalisiert, wenn nicht gar in mancher Hinsicht gebessert zu haben. Positiv war zum Beispiel, dass sich Alvie ihr gegenüber nicht mehr so mürrisch benahm, eher bereit, ihr ihre Zuneigung zu zeigen.
Was Cain betraf musste Merritt, sosehr sie sich auch dagegen wehrte, unentwegt an ihn denken. Sie war ständig auf Trab, um sich abzulenken, und backte mit neuem Schwung. Als Folge davon waren immer mehr Menschen von ihren Kuchen und Kürbistorten begeistert. Schon bald konnte Merritt keine weiteren Bestellungen mehr annehmen. Sie war auf Tage hinaus ausgebucht. Doch nachts im Bett durchlebte sie immer wieder das Gefühl, in Cains Armen zu liegen und geküsst zu werden, als ginge es um Leben und Tod. Die Erinnerungen drangen sogar in ihre Träume vor. Es trieb sie an den Rand des Wahnsinns. Besser, nie geküsst worden zu sein, dachte sie, als allein mit dieser schmerzlichen Sehnsucht zu bleiben.
Außerdem sah sie Sanford Paxton entschieden zu oft. Er war zwei Tage hintereinander ins Café gekommen, und am Freitag hatte sie ihn dabei ertappt, wie er sie ungeniert beobachtete. Es war später geworden, weil sie nach der Vormittagsschicht zu Fuß nach Hause gegangen war, und er war ihr entgegengekommen. Sie wandte den Blick ab, als er höflich an die Krempe seines Westernhuts tippte, musste aber erleben, dass er den Wagen wendete und neben ihr anhielt. Als er das Beifahrerfenster herunterließ, erschrak sie.
„Miss Miller, darf ich Sie nach Hause fahren?“, fragte er, ganz Kavalier.
Wie konnte er Mitleid mit ihr haben, wenn er für seinen eigenen Sohn keines aufbrachte? Sie konnte ihren Zorn kaum beherrschen. Verhielt er sich so, weil er gemerkt hatte, dass zwischen ihr und Cain etwas war, oder hatte Nikki etwas in der Richtung geäußert?
„Nein danke, Sir“, stieß sie hervor und fixierte den blitzenden Türgriff. „Nicht nötig.“
„Ich bewundere Ihren Mut, aber nötig ist es trotzdem. Mir wäre wohler, wenn Sie mir gestatten würden, Ihnen Zeit und Schmerzen zu ersparen.“
„Sir“, setzte sie an. „Ich würde meinen Arbeitgebern gern Ärger ersparen, muss Ihnen aber doch sagen, dass Sie Ihre Zeit verschwenden. Ich will nichts mit Ihnen zu tun haben.“
Er sah sie zuerst verblüfft, dann fasziniert an. Merritt empfand es als Ironie, dass sie glaubte, den gleichen Ausdruck auch schon auf Cains Gesicht gesehen zu haben.
„Sie mögen mich nicht … wegen der Dinge, die Sie über mich gehört haben.“
Beinahe hätte sie gesagt: Wegen der Dinge, die ich von Ihnen weiß. Doch damit wäre sie zu weit gegangen. „Ich sage lieber nichts mehr“, antwortete sie stattdessen.
Angesichts ihres Muts zog er die Brauen hoch; trotzdem fuhr er nicht aus der Haut. „Sie sind stärker, als sie aussehen. Das habe ich vermutet. Einen schönen Tag noch, Miss Miller.“
Als sie Alvie später davon berichtete, rechnete sie mit einer ähnlichen Szene wie vor wenigen Tagen. Alvie setzte sich auf den Stapel der kurz zuvor gelieferten Kisten mit Konserven. Sie war zwar blass, blieb aber erstaunlich ruhig,
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