Julia Saison Band 13 (German Edition)
reichte. „Ich bin Daisy Lockett. Ich wohne hier.“ Herausfordernd hob sie das Kinn. „Wir alle wohnen hier.“ Damit wies sie auf die Frau mit dem Gehstock, den Standesbeamten und die Klavierspielerin, die mit besorgten Mienen auf der anderen Seite des Raumes standen.
„Sie wohnen hier?“, wiederholte Parker erstaunt. Er hatte ein leeres Gebäude erwartet, und als es nicht leer gewesen war, hatte er angenommen, jemand würde es einfach benutzen. Aber Mieter? Nicht nur irgendwelche, sondern eine viel zu attraktive junge Frau mit Augen wie geschmolzene Schokolade und drei gebrechliche alte Leute?
Seine Augen wurden schmal. Diese Wendung der Dinge gefiel ihm ganz und gar nicht. Für unvorhersehbare und womöglich chaotische Situationen hatte er absolut nichts übrig. Nach all den dramatischen Ereignissen des letzten Jahres und seinen katastrophalen Beziehungen mit Frauen wollte er lieber etwas Langweiliges.
Allerdings war ihm das anscheinend nicht vergönnt. Parker schaute hinunter in diese beunruhigten dunklen Augen. Daisy Locketts Haar sah weich und zerzaust aus, wie bei einer Frau im Bett. Sie hatte den Zeigefinger zwischen den Lippen, entweder weil sie nervös daran knabberte oder weil sie sich Zuckerguss von den Fingerspitzen leckte.
Parker ertappte sich dabei, dass er überlegte, was von beidem sie wohl tat. So ein Unsinn. Das spielte keine Rolle. Hier ging es darum, dass sie unter seinem Dach lebte. Ein Dach, von dem er zugegebenermaßen bis letzte Woche nichts gewusst hatte, was ihm aber jetzt gehörte. Das bedeutete, dass alles, was in diesem Gebäude stattfand, mit ihm in Verbindung gebracht werden könnte. Und im Moment konnte er es wirklich nicht gebrauchen, dass irgendwelche seltsamen oder fragwürdigen Geschichten über ihn in der Presse auftauchten.
„Meine Tante ist bereits vor zwei Monaten verstorben“, stellte er fest. „Warum sind Sie dann noch hier? Und wieso wussten weder die Behörden noch die Immobilienmaklerin, dass jemand in dem Gebäude wohnt? Könnten Sie mir das alles vielleicht erklären, Ms Lockett?“
Mit vor der Brust verschränkten Armen und zusammengezogenen Augenbrauen sah er Daisy Lockett an. Dieser Blick hatte schon viele Leute eingeschüchtert. Zu seiner Überraschung hielt sie ihm jedoch stand. Sie richtete sich noch höher auf und verschränkte ebenfalls die Arme. Vermutlich, um entschlossener zu wirken. Wegen der üppigen Rundungen ihrer Brüste sah sie dadurch allerdings nur besonders erotisch und reizvoll aus.
Schluss damit, Sutcliffe, rief er sich zur Vernunft. Der Erotikfaktor dieser Frau war das Letzte, woran er jetzt denken sollte. Immerhin würde ihre flüchtige Bekanntschaft sehr schnell wieder beendet sein. Sobald er sie hier verscheucht hatte, wäre sie aus seinem Leben verschwunden. Dann würde er nach Boston und zu seiner Firma zurückkehren. Eine Firma, auf die er sich trotz der gegenwärtigen Probleme verlassen und die er kontrollieren konnte.
Daisy Lockett hingegen war offensichtlich komplett außer Kontrolle. Er musste sie loswerden, nicht etwa näher kennenlernen.
„Nun, Ms Lockett, was ist Ihre Erklärung hierfür?“ Parker deutete auf die traurigen Überreste der Hochzeitstorte mit dem umgestürzten Plastik-Brautpaar oben drauf, mehrere halb leere Seifenblasen-Röhrchen, eine Pfütze Seifenblasen-Flüssigkeit auf dem billigen Papiertischtuch sowie einen MP3-Player, der dringend neue Batterien benötigte.
„Sie mögen keine Hochzeiten, stimmt’s, Mr Sutcliffe?“, fragte Daisy unvermittelt. „Solche Männer sind mir schon öfters begegnet.“
Er zog die Brauen hoch. „Sie haben recht. Ich bin kein Anhänger der Ehe, aber das ist völlig nebensächlich. Der springende Punkt ist: Sie leben in meinem Haus, und zwar unbefugterweise. Was dachten Sie denn, was passieren würde, wenn jemand Sie hier antrifft?“
Sie hob das Kinn. „Ich habe einfach gehofft, dass es nicht passiert.“
Parker war verblüfft. „Aber ich bin da. Das heißt, es ist passiert“, entgegnete er. „Und jetzt, da sich trotz Ihrer Hoffnungen unsere Wege gekreuzt haben, stellt sich die Frage: Was soll ich mit Ihnen machen?“
Es würde noch einige Monate dauern, bis Daisys Geburtsvorbereitungskurs beginnen sollte. Aber sie wusste, dass es dabei vor allem um das richtige Atmen ging, was ihr im Moment ausgesprochen schwerfiel.
Daher griff sie nach dem erstbesten Strohhalm. „Tillie hat Sie nie erwähnt.“ Tillie, die ihr Mutter und Freundin zugleich gewesen war,
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