Julia Sommerliebe 0020
seines Lebens bevor. Als er die Stimmen der beiden Frauen hörte, atmete er tief ein. Dann hörte er Ginas Worte und war vor Furcht wie erstarrt.
Gina stand im Wohnzimmer, die Hände an die Rückenlehne eines Stuhls gepresst, während sie sich wieder einmal vor ihrer Großmutter rechtfertigen musste.
„Hast du noch einmal über das nachgedacht, was ich über Seb gesagt habe?“ Die braunen Augen der alten Dame funkelten. „Es ist jetzt eine Woche her.“
Das wusste Gina nur zu gut. Sie hatte jede einzelne einsame Minute allzu schmerzlich durchlebt. „Seb hat mich belogen, Nonna Maria.“
„Hat er denn gesagt, er würde als Hausmeister in der Villa arbeiten?“
„Nein. Aber er wusste, dass ich davon ausgegangen bin. Und er hat mich nicht über meinen Irrtum aufgeklärt. Dass er ein reicher, berühmter Chirurg ist, hat er mir auch nie erzählt – oder dass die Villa seiner Familie gehört. Er hat mich absichtlich hinters Licht geführt.“
„Und warum hat er das deiner Ansicht nach getan?“
Gina war aufgebracht. Warum setzte ihre Großmutter ihr denn jetzt wieder so zu? „Wir haben über das alles doch schon gesprochen. Es war einfach dumm von mir, an einen Traum zu glauben“, sagte sie, und wieder durchfuhr sie ein heftiger Schmerz über Sebs Unaufrichtigkeit.
„Glaubst du nicht, dass er noch andere, nachvollziehbare Gründe gehabt haben könnte, ragazza mia?“
„Was für Gründe sollten das denn sein?“ Gina presste die Hände noch stärker gegen die Lehne, während sie versuchte, ihre Gefühle im Zaum zu halten. „Offenbar war ich Seb nicht wichtig genug, sonst wäre er mir gegenüber ehrlich gewesen. Er hatte weder ausreichend Respekt noch Vertrauen. Und verglichen mit seinen anderen Frauen bin ich einfach ein Nichts.“
„Das ist doch Unsinn“, widersprach ihre Großmutter missbilligend.
„Anfangs war alles anders, als ich dachte, Seb sei ein ganz normaler Mann und …“
„Genau.“
Gina schrie leise auf vor Schreck und fuhr herum, als sie hinter sich Sebs Stimme hörte. Als sie ihn erblickte, pochte ihr Herz heftig. Wie immer sah er einfach atemberaubend gut aus: Das dunkle Haar war ein wenig zerzaust, und auf seinen Wangen lag ein dunkler Bartschatten. Seb trug eine dunkelgraue Stoffhose und einen dicken schwarzen Pullover. Einen Moment lang glaubte Gina, sie hätte Halluzinationen. Doch als sie die Augen kurz geschlossen und dann wieder geöffnet hatte, stand Seb noch immer vor ihr. Gina warf ihrer Großmutter einen vorwurfsvollen Blick zu, dem Nonna Maria trotzig und schuldbewusst zugleich standhielt.
„Mach Maria bitte keine Vorwürfe“, sagte Seb. „Ich bin derjenige, der dir etwas erklären muss. Sobald ich konnte, bin ich dir nachgereist und habe deine Großmutter und deine Freunde um Hilfe gebeten.“
„Warum?“, flüsterte Gina.
„Wirst du dir anhören, was ich zu sagen habe?“ Er sah ihr tief in die Augen.
Gina war hin- und hergerissen. Sie hörte, wie ihre Großmutter das Zimmer verließ, doch als Seb auf sie zukam, wich Gina zurück. Wenn er sie jetzt berührte, wäre es sofort um sie geschehen. Sie würde ihren Widerstand sofort aufgeben, und alle Vernunft wäre vergessen. Nein, dieses Mal würde Gina vorsichtig bleiben.
Plötzlich klingelte es, Gina zuckte zusammen. Erstaunt riss sie die Augen auf, als sie Hollys und Ruths Stimmen erkannte. Kurz darauf kamen die beiden ins Wohnzimmer, ein verschwörerisches Lächeln auf dem Gesicht.
„Was ist hier eigentlich los?“, fragte Gina.
„Ich übernachte heute bei Ruth“, verkündete Maria und griff nach einer kleinen Tasche. „Du und Seb, ihr braucht etwas Zeit für euch. Das Abendessen ist fertig und steht in der Küche. Ihr könnt es euch einfach aufwärmen, wann ihr wollt.“
Fassungslos fixierte Gina ihre Großmutter mit Blicken. Doch bevor sie protestieren konnte, waren ihre Freundinnen und Nonna Maria bereits gegangen. Die Tür fiel ins Schloss. Gina war allein mit Seb.
„Was ist los? Warum bist du hier?“ Weil ihre Hände zitterten, verschränkte sie die Finger ineinander. Sie konnte den Blick nicht von Seb abwenden, doch der Schmerz über seinen Vertrauensbruch war so stark wie eh und je. „Du hast mich doch von Anfang an belogen“, fügte sie hinzu, als ihr Tränen in die Augen stiegen. „Weil ich dir nicht gut genug war.“
„Nein!“ Was Gina ihm vorwarf, traf Seb ins Mark. Ihr Misstrauen und die Tränen in ihren dunklen Augen machten ihm bewusst, wie sehr er ihr wehgetan hatte.
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