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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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mehr herunterbekam. Immerhin hatte ich endlich etwas gefunden, das wirklich mir gehörte. Was den Dolch betraf - der bis zu seiner Rückreise in den Schmelztiegel in einer abgeschlossenen Metallkiste lag -, musste ich mir wohl allmählich eingestehen, dass er tatsächlich nie so ganz mein Eigentum gewesen war. »Und nun«, erklärte Eva Maria, während sie ihren Kelch abstellte, »ist es Zeit für unsere Prozession.«
    Wenn ich mich als kleines Mädchen auf der Küchenbank zusammenrollte und Umberto bei der Arbeit zusah, erzählte er mir manchmal Geschichten von religiösen Prozessionen, wie sie im Mittelalter in Italien stattgefunden hatten. Er erzählte mir von Priestern, die Reliquien toter Heiliger durch die Straßen trugen, und von Fackeln, Palmwedeln und geweihten Statuen auf Stangen. Hin und wieder beendete er eine solche Geschichte mit den Worten: »Das gibt es sogar heute noch«, aber ich interpretierte diesen Schluss immer wie den üblichen Märchenschluss »Und wenn sie nicht gestorben sind ...«: als reines Wunschdenken.
    Nicht einmal im Traum wäre ich auf die Idee gekommen, dass ich eines Tages selbst an einer solchen Prozession teilnehmen würde, noch dazu an einer, die zumindest teilweise mir zu Ehren veranstaltet wurde und zwölf gestrenge Mönche dazu veranlasste, mit einer Glasphiole durch das ganze Haus zu schreiten, gefolgt von den meisten von Eva Marias Partygästen, die alle große Kerzen trugen.
    Während wir langsam die Loggia im ersten Stock entlangzogen und pflichtbewusst dem Weg folgten, den uns der Weihrauch und Bruder Lorenzos lateinischer Singsang wiesen, blickte ich mich nach Alessandro um, konnte ihn aber nirgendwo in der Prozession entdecken. Als Eva Maria bemerkte, dass ich nicht bei der Sache war, nahm sie mich am Arm und flüsterte: »Ich weiß, dass Sie müde sind. Gehen Sie doch einfach ins Bett. Diese Prozession dauert noch eine Ewigkeit. Wir beide können uns morgen unterhalten, wenn das alles vorüber ist.«
    Ich unternahm gar nicht erst den Versuch, ihr zu widersprechen. Die Wahrheit war, dass ich mich völlig erledigt fühlte und mir nichts sehnlicher wünschte, als in mein homerisches Bett zu kriechen und mich wie ein Embryo zusammenzurollen, auch wenn das bedeutete, den Rest von Eva Marias seltsamem Fest zu verpassen. Als wir das nächste Mal an meiner Tür vorbeikamen, löste ich mich unauffällig aus der Gruppe und huschte in mein Zimmer.
    Mein Bett war immer noch feucht von Bruder Lorenzos Weihwasser, aber das störte mich nicht. Ohne mir die Mühe zu machen, meine Schuhe auszuziehen, ließ ich mich - mit dem Gesicht nach unten - auf die Tagesdecke fallen. Ich war sicher, dass ich binnen einer Minute einschlafen würde. Obwohl ich immer noch den bitteren Geschmack von Eva Marias Sangiovese im Mund hatte, besaß ich nicht mal mehr die Kraft, mich ins Bad zu schleppen und mir die Zähne zu putzen.
    Während ich jedoch so dalag und auf den Schlaf wartete, wich meine Benommenheit plötzlich einem Zustand völliger Klarheit. Der Raum hörte auf, sich um mich zu drehen, und ich schaffte es, ohne jedes Gefühl von Schwindel den Ring an meinem Finger zu betrachten, den ich noch immer nicht abbekam und der eine ganz eigene Energie auszustrahlen schien. Anfangs hatte mich das mit Angst erfüllt, doch nun - angesichts der Tatsache, dass ich immer noch am Leben war und seine zerstörerischen Kräfte mir bisher nicht geschadet hatten - machte die Angst langsam einer prickelnden Vorfreude Platz. Worauf ich mich freute, konnte ich selbst nicht so genau sagen, aber ich wusste plötzlich, dass ich erst wieder in der Lage sein würde, mich zu entspannen, wenn ich mit Alessandro gesprochen hatte. Hoffentlich konnte er mir eine beruhigende Interpretation der Ereignisse dieses Abends liefern. Sollte ihm das nicht gelingen, wäre ich auch schon zufrieden, wenn er mich in den Arm nahm und ich mich eine Weile an seiner Brust verstecken durfte.
    Ich zog meine Schuhe aus und glitt auf unseren gemeinsamen Balkon hinaus, weil ich hoffte, ihn in seinem Zimmer zu erspähen. Bestimmt hatte er sich noch nicht hingelegt, und bestimmt war er - trotz der Ereignisse des Abends - nur allzu gern bereit, dort weiterzumachen, wo wir am Nachmittag aufgehört hatten.
    Wie sich herausstellte, stand er keine zwei Meter von mir entfernt auf dem Balkon. Er war noch vollständig angezogen, hatte beide Hände auf das Geländer gestützt und blickte mit düsterer Miene in die Nacht hinaus.
    Obwohl er meine Balkontür

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