Julia
Kopf gestreift hatte, lag noch da.
Während ich mich in eine der Bettdecken hüllte, verzog ich erschrocken das Gesicht, weil wir Eva Marias altes Leinen so zugerichtet hatten. Und nicht nur das. Zwischen der zerknitterten weißen Bettwäsche steckte ein Bündel aus zarter, blauer Seide, das mir bis dahin gar nicht aufgefallen war. Langsam faltete ich den Stoff auseinander, brauchte aber seltsamerweise eine ganze Weile, bis ich begriff, worum es sich dabei handelte -wahrscheinlich, weil ich nicht damit gerechnet hatte, ihn jemals wiederzusehen. Und ganz bestimmt nicht in meinem Bett.
Es war der Cencio aus dem Jahre 1340.
Dass ich ihn erst jetzt bemerkte, lag vermutlich daran, dass dieser unschätzbar wertvolle Kunstgegenstand unter dem übrigen Bettzeug versteckt worden war, und zwar von jemandem, der unbedingt wollte, dass ich darauf schlief. Aber von wem? Und warum?
Zwanzig Jahre zuvor hatte meine Mutter alles Erdenkliche unternommen, um diesen Cencio zu bewahren und an mich weiterzugeben. Ich hatte ihn zwar gefunden, aber schnell wieder verloren. Trotzdem lag er nun hier, direkt unter mir, wie ein Schatten, den ich nicht abschütteln konnte. Erst am Vortag hatte ich Alessandro auf Rocca di Tentennano unumwunden gefragt, ob er wisse, wo der Cencio sei. Seine kryptische Antwort hatte gelautet, wo auch immer er sein möge, ohne mich sei er völlig nutzlos. Nun hielt ich ihn hier plötzlich in den Händen, und alles ergab einen Sinn.
Laut Maestro Ambrogios Tagebuch hatte Romeo Marescotti geschworen, dass er, sollte er den Palio von 1340 gewinnen, den Cencio in seiner Hochzeitsnacht als Betttuch verwenden würde. Der teuflische Salimbeni aber hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um zu verhindern, dass Romeo und Giulietta jemals eine Nacht miteinander verbringen konnten, und damit Erfolg gehabt.
Bis jetzt.
Vielleicht war das der Grund gewesen, warum es in meinem Zimmer bereits ein wenig nach Weihrauch gerochen hatte, als ich am Vortag vom Swimmingpool zurückkehrte. Vielleicht hatten Bruder Lorenzo und die Mönche persönlich dafür sorgen wollen, dass der Cencio dort hinkam, wo er hingehörte ... in das Bett, das ich bald darauf mit Alessandro teilen sollte.
In einem schmeichelhaften Licht betrachtet war das alles höchst romantisch. Die Lorenzo-Bruderschaft sah es zweifellos als ihre Lebensaufgabe an, den Tolomeis und den Salimbenis dabei zu helfen, ihre Sünden der Vergangenheit »zu sühnen«, damit Bruder Lorenzos Bann endlich gebrochen werden konnte - daher die abendliche Zeremonie, deren Ziel es gewesen war, Romeos Ring zurück an Giuliettas Finger zu stecken und den Adlerdolch von all seinem Übel zu reinigen. Ich ließ mich auch gerne dazu bewegen, es positiv zu sehen, dass man den Cencio in meinem Bett versteckt hatte: Wenn Maestro Ambrogios Version der Geschichte tatsächlich stimmte und die von Shakespeare nicht der historischen Wahrheit entsprach, dann hatten Romeo und Giulietta sehr lange warten müssen, bis ihre Ehe endlich vollzogen wurde. Wer konnte da etwas gegen eine kleine Zeremonie einzuwenden haben?
Dagegen hatte ich durchaus nichts einzuwenden, nein, mein Problem war ein ganz anderes: Wer auch immer den Cencio in mein Bett gelegt hatte, hatte höchstwahrscheinlich mit dem verstorbenen Dieb Bruno Carrera unter einer Decke gesteckt und war somit - direkt oder indirekt - für den Einbruch im Eulenmuseum verantwortlich, durch den mein Cousin Peppo im Krankenhaus gelandet war. Es beruhte also nicht nur auf einer romantischen Laune, dass ich in dieser Nacht hier saß und den Cencio in Händen hielt. Es ging dabei eindeutig um etwas Größeres und Unheilvolleres.
Plötzlich bekam ich Angst, dass Alessandro etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte, und stand rasch auf. Statt nach frischen Sachen zu kramen, schlüpfte ich einfach noch einmal in das rote Samtkleid, das wenige Stunden zuvor auf dem Boden neben dem Bett gelandet war. Als ich schließlich auf den Balkon hinaustrat, füllte ich meine Lungen erst einmal mit der beruhigenden Kühle der Nacht, ehe ich in Alessandros Zimmer spähte.
Ich konnte ihn nirgendwo entdecken. Allerdings brannten alle Lichter, und wie es aussah, hatte er den Raum ziemlich überstürzt verlassen, ohne die Tür hinter sich zuzuziehen.
Ich musste meinen ganzen Mut zusammennehmen, ehe ich seine Balkontür aufschob und eintrat. Obwohl ich mich noch nie einem Mann so nahe gefühlt hatte wie ihm, gab es in meinem Kopf noch immer eine kleine Stimme, die mir
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