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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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steht er immer zwischen uns?«
    Ich wagte es, einen Arm auszustrecken und ihn zu berühren. »Aber er ist doch unser Freund.«
    »Meinst du?« Alessandro nahm meine Hand und küsste sie. Dann drehte er sie um und küsste mein Handgelenk, sah mir dabei aber die ganze Zeit in die Augen. »Ist er das wirklich? Dann sag mir doch mal, was wir gemäß unserem Freund jetzt tun sollten?« Als er die Antwort in meinen Augen las, nickte er langsam. »Und danach?«
    Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, was er meinte. Nach der Liebe kam die Trennung, und nach der Trennung der Tod ... zumindest laut meinem Freund, Mr. Shakespeare. Doch bevor ich Alessandro daran erinnern konnte, dass wir beide gerade im Begriff waren, unser eigenes Happy End zu schreiben - denn das taten wir doch, oder nicht? -, kam Eva Maria wie ein prächtiger goldener Schwan auf uns zugeflattert. Im Licht der Fackeln sah ihr Kleid tatsächlich aus, als stünde es in Flammen.
    »Sandro! Giulietta! Grazie a Dio!« Sie winkte uns zu sich. »Kommt! Schnell!«
    Da Widerspruch ohnehin zwecklos war, taten wir, wie uns geheißen, und folgten Eva Marias schimmernder Gestalt ins Haus, wobei wir uns beide nicht die Mühe machten, sie zu fragen, was denn so dringend sein konnte, dass es keinen Aufschub duldete. Möglicherweise wusste Alessandro zu diesem Zeitpunkt ja bereits, wohin wir unterwegs waren und warum. Nach seiner gerunzelten Stirn zu urteilen, befanden wir uns wieder einmal in den Händen des Barden, oder der flatterhaften Fortuna, oder welcher anderen Macht auch immer, die an diesem Abend über unser Schicksal bestimmte.
    Nachdem wir in die große Eingangshalle zurückgekehrt waren, führte Eva Maria uns mitten durch die Menge und dann durch eine Seitentür einen Gang entlang, von dem aus wir in ein kleines, sehr streng und düster wirkendes Speisezimmer gelangten. In Anbetracht der Tatsache, dass gleich um die Ecke ein großes Fest im Gange war, herrschte dort erstaunliche Ruhe. Erst jetzt, nachdem wir diesen Raum betreten hatten, hielt Eva Maria kurz inne und gab uns durch ihr Mienenspiel - sie hatte die Augen vor Aufregung weit aufgerissen - zu verstehen, dass wir hinter ihr bleiben und uns still verhalten sollten.
    Auf den ersten Blick war mir der Raum leer erschienen, doch nachdem Eva Maria so ein Theater veranstaltete, sah ich noch einmal genauer hin. Erst jetzt entdeckte ich sie. An beiden Enden der langen Tafel stand je ein Kandelaber mit einer brennenden Kerze, und auf jedem der zwölf großen Speisezimmerstühle saß ein Mann, in die monochrome Tarnfarbe geistlicher Gewänder gehüllt. Auf einer Seite, wo es so dunkel war, dass man zweimal hinsehen musste, um etwas zu erkennen, stand ein jüngerer Mann, der eine Kutte trug und fast lautlos eine Schale mit Weihrauch schwenkte.
    Beim Anblick dieser Männer beschleunigte sich mein Puls, denn ich musste plötzlich an Janices Warnung vom Vortag denken. Nach ihrem Besuch bei Cousin Peppo war sie vor sensationellen Neuigkeiten fast geplatzt und hatte behauptet, Eva Maria sei eine Mafiakönigin, die sich nebenbei mit dem Okkulten beschäftige, und nehme hier draußen in ihrem abgelegenen Schloss an geheimen Blutritualen teil, deren Ziel es sei, die Geister der Toten herbeizurufen.
    Selbst in meinem benebelten Zustand hätte ich sofort auf dem Absatz kehrtgemacht, hätte mir nicht Alessandro besitzergreifend einen Arm um die Taille gelegt.
    »Diese Männer«, flüsterte Eva Maria mit leicht zittriger Stimme, »sind Mitglieder der Lorenzo-Bruderschaft. Sie sind extra aus Viterbo gekommen, um Sie kennenzulernen.«
    »Mich?« Ich ließ den Blick über das gestrenge Dutzend schweifen. »Aber warum denn?«
    »Schhh!« Mit großer Theatralik begleitete sie mich durch den Raum, um mich dem alten Mönch vorzustellen, der in gebückter Haltung auf dem thronartigen Stuhl am Ende der Tafel saß. »Er spricht kein Englisch, deswegen werde ich übersetzen.« Ehrfurchtsvoll knickste sie vor dem Mönch, dessen Blick auf mich gerichtet war, besser gesagt, auf das Kruzifix an meinem Hals. »Giulietta, dies ist ein ganz besonderer Moment. Darf ich vorstellen: Bruder Lorenzo.«
     

VIII.II
    O sel'ge, sel'ge Nacht! Nur furcht ich, weil
    Mich Nacht umgibt, dies alles sei nur Traum,
    Zu schmeichelnd süß, um wirklich zu bestehn
     
    »Jiulietta Tolomei!« Der alte Mönch erhob sich, umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und sah mir tief in die Augen. Erst dann berührte er das Kruzifix an meinem Hals - nicht mit

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