Julia
sagte, dass ich ihn - mal abgesehen von seinem Äußeren und seinen schönen Worten - überhaupt nicht kannte.
Für einen Moment blieb ich mitten im Raum stehen und blickte mich um. Offensichtlich handelte es sich dabei nicht um ein Gästezimmer, sondern um sein Zimmer. Unter anderen Umständen hätte es mir großen Spaß gemacht, ein wenig darin umherzuwandern und mir die Fotos an der Wand anzusehen oder die vielen kleinen Gefäße zu inspizieren, die allerlei seltsamen Schnickschnack enthielten.
Als ich gerade einen Blick ins Bad werfen wollte, vernahm ich durch die halb offen stehende Tür zur Innenloggia plötzlich Stimmen. Vorsichtig streckte ich den Kopf hinaus, konnte aber weder auf der Loggia noch unten in der Eingangshalle jemanden entdecken. Die letzten Gäste waren bestimmt schon vor Stunden aufgebrochen. Nur hie und da flackerte in einer Ecke ein Wandleuchter, ansonsten war es im ganzen Haus dunkel.
Während ich auf die Loggia trat, versuchte ich auszumachen, woher die Stimmen kamen, und gelangte zu dem Schluss, dass sich die Leute, die ich reden hörte, in einem anderen Gästezimmer befanden, ein Stück den Gang hinunter. Trotz des nachhallenden, gespenstischen Klangs der Gesprächsfetzen - von meinem eigenen Geisteszustand ganz zu schweigen - war ich sicher, dass ich gerade Alessandro sprechen hörte. Alessandro und noch jemanden. Der Klang seiner Stimme machte mich nervös, und gleichzeitig durchströmte mich ein Gefühl von Wärme. Mir war klar, dass ich erst wieder einschlafen konnte, wenn ich wusste, wer es geschafft hatte, ihn heute Nacht von meiner Seite zu locken.
Die Tür zu dem Raum stand offen. Auf Zehenspitzen schlich ich näher, krampfhaft darauf bedacht, nicht in das Licht zu treten, das von drinnen auf den Marmorboden fiel. Als ich schließlich ganz vorsichtig den Hals reckte, um in das Zimmer zu spähen, konnte ich zwei Männer ausmachen und sogar Bruchstücke ihres Gesprächs aufschnappen, auch wenn ich nicht begriff, worüber sie redeten. Es war tatsächlich Alessandro, der dort, nur mit einer Jeans bekleidet, auf einem Schreibtisch saß und -verglichen mit dem letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte - auffallend angespannt wirkte. Sobald der andere Mann den Kopf wandte, um ihn anzusehen, verstand ich allerdings, warum.
Es war Umberto.
VIII.III
O Schlangenherz, von Blumen überdeckt!
Wohnt' in so schöner Höhl ein Drache je?
Janice hatte immer behauptet, man müsste sich mindestens einmal das Herz brechen lassen, um erwachsen zu werden und zu erkennen, wer man wirklich war. Mir hatte diese harte Doktrin nur einen weiteren hervorragenden Grund dafür geliefert, mich nie zu verlieben. Bis jetzt. Als ich an diesem Abend dort auf der Loggia stand und zusehen musste, wie Alessandro und Umberto gegen mich intrigierten, wusste ich endlich ganz genau, wer ich war. Shakespeares Narr.
Denn trotz allem, was ich im Verlauf der vergangenen Woche über Umberto erfahren hatte, war das Erste, was ich bei seinem Anblick empfand, eine alberne, überschäumende, unsinnige Freude. Ich brauchte ein paar Sekunden, um sie zu ersticken. Zwei Wochen zuvor, auf Tante Roses Beerdigung, hatte ich das Gefühl gehabt, dass er der einzige liebe Mensch war, den ich auf der Welt noch hatte, und als ich bald darauf zu meinem italienischen Abenteuer aufbrach, quälten mich Gewissensbisse, weil ich ihn allein zurückließ. Natürlich war die Situation mittlerweile eine völlig andere, was jedoch - wie ich nun feststellte - nicht bedeutete, dass ich ihn nicht mehr liebte.
Obwohl mich seine Anwesenheit im Castello Salimbeni wie ein Schlag traf, hätte ich es eigentlich kommen sehen müssen. Seit ich von Janice wusste, dass Umberto in Wahrheit Luciano Salimbeni war, wusste ich auch, dass all seine trotteligen Fragen am Telefon nur gespielt gewesen waren. Die ganze Zeit hatte er so getan, als würde er nicht so recht verstehen, was ich ihm über Moms Truhe erzählte, doch in Wirklichkeit war er mir immer ein paar Schritte voraus gewesen. Aber da ich ihn liebte und ihn Janice gegenüber sogar noch weiter verteidigte - indem ich daran festhielt, dass sie die Aussagen der Polizei irgendwie missverstanden habe oder es sich einfach um eine Verwechslung handle -, traf mich sein Verrat nun umso härter.
Wie krampfhaft ich auch versuchte, eine plausible Erklärung für seine Anwesenheit hier zu finden, es bestand kein Zweifel mehr daran, dass er tatsächlich Luciano Salimbeni war. Er hatte mir Bruno Carrera auf
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