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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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benebelte weiterhin irgendeine fremde Substanz - nicht der Wein, sondern etwas anderes - mein Bewusstsein, so dass all meine rationalen Fähigkeiten unter einer dicken Schlammschicht aus schummrigem Fatalismus begraben lagen. Also stand ich lammfromm da, während Bruder Lorenzo ein Gebet gen Himmel sandte und anschließend nach einem weiteren Gegenstand verlangte, der auf dem Tisch lag.
    Romeos Dolch.
    »Dieser Dolch ist unrein«, erklärte Alessandro leise, »aber Bruder Lorenzo wird sich darum kümmern und sicherstellen, dass er niemandem mehr schaden kann ...«
    Trotz meines benommenen Zustands schoss mir durch den Kopf: Wie nett von ihm! Und wie nett von dir, dass du mich so höflich um Erlaubnis bittest, bevor du ihm ein Erbstück überlässt, das meine Eltern mir hinterlassen haben! Aber ich brachte die Worte nicht heraus.
    »Schhh!« Eva Maria war es offenbar egal, ob ich verstand, was vor sich ging. »Eure rechte Hand!«
    Sowohl Alessandro als auch ich starrten sie verblüfft an, während sie den Arm ausstreckte und ihre eigene Rechte auf den Dolch legte, den Bruder Lorenzo uns hinhielt. »Los«, drängte sie mich, »legen Sie Ihre Hand auf meine.«
    Ich tat, wie mir geheißen. Wie bei einem Kinderspiel legte ich die Hand auf ihre, und anschließend legte Alessandro die seine obendrauf. Um den Kreis zu schließen, platzierte Bruder Lorenzo seine freie Hand auf der von Alessandro und murmelte dabei ein Gebet, das eher wie eine Anrufung teuflischer Mächte klang.
    »Nie wieder«, flüsterte Alessandro, ohne auf Eva Marias warnenden Blick zu achten, »wird dieser Dolch jemandem aus den Familien Salimbeni, Tolomei oder Marescotti schaden. Der Kreis der Gewalt ist beendet. Nie wieder werden wir in der Lage sein, einander mit einer Waffe zu verletzen. Nun ist endlich Frieden eingekehrt, und dieser Dolch muss dorthin zurück, wo er hergekommen ist, zurück in die Adern der Erde.«
    Nachdem Bruder Lorenzo sein Gebet zu Ende gesprochen hatte, legte er den Dolch ganz vorsichtig in eine rechteckige, mit einem Schloss versehene Metallkiste. Erst, als er die Kiste einem seiner Brüder überreichte, blickte der alte Mönch hoch und lächelte uns an, als hätten wir uns zu einem ganz normalen gesellschaftlichen Treffen versammelt und nicht gerade an einem mittelalterlichen Trauungsritual mit anschließendem Exorzismus teilgenommen.
    »Und nun«, verkündete Eva Maria, die ebenso frohgestimmt wirkte wie er, »noch eine letzte Sache. Ein Brief...« Sie wartete, bis Bruder Lorenzo eine kleine, vergilbte Pergamentrolle aus einer Tasche seiner Kutte gezogen hatte. Falls es sich tatsächlich um einen Brief handelte, dann um einen sehr alten, der nie geöffnet worden war, denn er trug ein unversehrtes rotes Wachssiegel. »Das«, erklärte Eva Maria, »ist ein Brief, denn Giannozza 1340 an ihre Schwester Giulietta schickte, während diese noch im Palazzo Tolomei lebte. Nach allem, was beim Palio passierte, kam Bruder Lorenzo nicht mehr dazu, ihn Giulietta auszuhändigen. Die Lorenzo-Brüder haben ihn erst kürzlich in den Archiven des Klosters entdeckt, in das Bruder Lorenzo mit Romeo geflüchtet war, nachdem er ihm das Leben gerettet hatte. Der Brief gehört nun Ihnen.«
    »Ähm, danke«, antwortete ich, während ich zusah, wie Bruder Lorenzo ihn wieder in seiner Tasche verschwinden ließ.
    »Und nun ...« Eva Maria schnippte mit den Fingern. Einen Augenblick später tauchte neben uns ein Kellner mit einem Tablett voller antik aussehender Weinkelche auf. »Prego ...« Eva Maria reichte das größte Gefäß Bruder Lorenzo. Nachdem sie auch die übrigen verteilt hatte, hob sie ihren eigenen Kelch, um feierlich mit uns anzustoßen. »Ach, und Giulietta ... Bruder Lorenzo sagt, wenn das alles hier vorbei ist, müssen Sie nach Viterbo kommen und das Kruzifix seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben. Im Gegenzug bekommen Sie dann Giannozzas Brief.«
    »Was für ein Kruzifix?«, fragte ich, wobei mir nur allzu bewusst war, wie undeutlich ich sprach.
    »Dieses da ...« Sie deutete auf das Kruzifix an meinem Hals. »Es gehört Bruder Lorenzo. Er will es zurück.«
    Obwohl der Wein nach Staub und Metallpolitur schmeckte, trank ich ihn in großen Schlucken. Nichts lässt ein Mädchen mehr nach einem Drink lechzen als die Gegenwart von gespenstischen Mönchen in bestickten Umhängen. Ganz zu schweigen von meinem ständigen Schwindelgefühl und Romeos Ring, der mittlerweile an meinem Finger steckte - und zwar so fest, dass ich ihn nicht

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