Julia
Gesicht packte Janice mich am Arm und riss mich zurück.
Erst jetzt sah ich es. Umbertos Hände waren hinter seinem Rücken gefesselt, und einer der Männer hielt ihm eine Waffe an den Kopf.
»Mein Freund Cocco hier«, erklärte Umberto, der es irgendwie schaffte, trotz der Mündung, die sich in seinen Hals bohrte, gelassen zu bleiben, »würde gerne wissen, ob ihr zwei Damen ihm von Nutzen sein werdet oder nicht.«
IX.II
Ihr Körper schläft in Capulets Begräbnis
Und ihr unsterblich Teil lebt bei den Engeln
Als ich Siena am Vortag mit Alessandro verlassen hatte, wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass ich so bald, so dreckig und mit gefesselten Händen zurückkehren würde. Außerdem hatte ich definitiv nicht damit gerechnet, dass mich meine Schwester und mein Vater begleiten würden, ganz zu schweigen von den drei Schlägertypen, die aussahen, als wären sie gerade dem Todestrakt entronnen - und zwar nicht mit Gnadengesuchen, sondern mit Dynamit.
Es bestand kein Zweifel daran, dass Umberto, auch wenn er diese Männer beim Vornamen kannte, ebenso ihre Geisel war wie wir. Sie warfen ihn genau wie Janice und mich in den Laderaum ihres kleinen - und höchstwahrscheinlich gestohlenen -Blumen-Lieferwagens, wo wir ziemlich hart auf dem Metallboden landeten. Da wir alle an den Händen gefesselt waren, dämpfte lediglich ein Potpourri aus verfaulenden Blumenresten unseren Fall.
»Hey!«, protestierte Janice an Umberto gewandt. »Wir sind immerhin deine Töchter, oder etwa nicht? Sag ihnen, dass sie uns nicht so behandeln dürfen. Also ehrlich ... Jules, sag was zu ihm!«
Aber mir fiel nichts Passendes ein. Es kam mir vor, als stünde um mich herum plötzlich die ganze Welt köpf... Oder vielleicht war mit der Welt alles in Ordnung, und nur ich allein war kopfüber gekippt. Während ich noch krampfhaft versuchte, Umbertos Wandlung vom Helden zum Schurken zu verarbeiten, galt es nun zusätzlich zu verdauen, dass er auch mein Vater war, was mich fast wieder an meinen Ausgangspunkt und zu meinem ursprünglichen Problem zurückkatapultierte: Ich liebte ihn, obwohl ich das definitiv nicht sollte.
Erst als die Ganoven die Türen hinter uns zuschlugen, fiel mein Blick auf ein weiteres Opfer, das sie wohl unterwegs schon irgendwo eingeladen hatten. Der Mann saß geknebelt und mit verbundenen Augen in einer Ecke. Hätte er nicht diese besondere Kleidung getragen, hätte ich ihn bestimmt nicht erkannt. Nun endlich fand ich die Sprache wieder und rief spontan: »Bruder Lorenzo! Mein Gott, sie haben Bruder Lorenzo entführt!«
In dem Moment setzte sich der Lieferwagen mit einem Ruck in Bewegung, und die nächsten paar Minuten verbrachten wir damit, auf dem gerillten Boden der Ladefläche hin und her zu rutschen, während der Fahrer uns durch die Wildnis von Moms Zufahrt chauffierte.
Als das Geholpere schließlich ein Ende hatte, stieß Janice einen tiefen, bekümmerten Seufzer aus. »Also gut«, sagte sie laut in die Dunkelheit hinein, »du hast gewonnen, die Steine gehören dir ... oder denen. Wir wollen sie sowieso nicht. Wir werden dir helfen und alles tun, was diese Typen von uns verlangen. Du bist schließlich unser Dad, nicht wahr? Da müssen wir doch zusammenhalten! Sie brauchen uns nicht ... umzubringen. Oder?«
Sie bekam auf ihre Frage keine Antwort.
»Die wissen doch hoffentlich«, fuhr sie mit zittriger Stimme fort, »dass sie die Statue ohne uns nie finden ...«
Umberto gab ihr noch immer keine Antwort. Das brauchte er auch gar nicht. Obwohl wir den Banditen bereits von dem angeblichen Geheimeingang in Santa Maria della Scala erzählt hatten, waren sie wohl immer noch der Meinung, dass wir ihnen bei der Suche nach den Edelsteinen von Nutzen sein könnten, denn sonst hätten sie uns bestimmt nicht mitgenommen.
»Was ist mit Bruder Lorenzo?«, fragte ich.
Endlich bequemte sich Umberto zu einer Antwort. »Was soll mit ihm sein?«
»Nun hör aber auf«, sagte Janice, deren Lebensgeister langsam zurückkehrten, »glaubst du wirklich, der arme Kerl kann da irgendwie helfen?«
»Oh, der wird schon noch singen.«
Als Umberto hörte, wie wir wegen seines gleichgültigen Tonfalls beide nach Luft schnappten, stieß er ein Geräusch aus, das fast nach einem Lachen klang, wahrscheinlich aber keines war. »Was zum Teufel habt ihr erwartet?«, grunzte er. »Dass sie einfach ... aufgeben? Ihr hattet Glück, dass wir es zuerst auf die nette Art versucht haben ...«
»Auf die nette Art... ?«, begann Janice
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