Julia
nicht sehr gut mit Enttäuschungen umgehen, weshalb ich rasch meine Geldbörse aus meiner Handtasche fischte. Hoffentlich wirkten meine Kreditkarten vielversprechend genug. Niemand außer mir wusste, das sie für etwa zwanzigtausend Dollar Schulden standen.
Während ich auf das Unvermeidliche wartete, wurde das laute Pochen meines Herzens plötzlich vom Röhren eines heranbrausenden Motorrades übertönt. Statt wie befürchtet meinen Verfolger mit triumphierender Miene in die Sackgasse einbiegen zu sehen, erhaschte ich einen kurzen Blick auf blitzendes schwarzes Metall, als draußen das Motorrad vorbeischoss und in die andere Richtung weiterbrauste. Allerdings verschwand es nicht endgültig, sondern wendete plötzlich mit quietschenden Reifen und fuhr noch ein paarmal hin und her, ohne jedoch irgendwo in meiner Nähe anzuhalten. Erst jetzt hörte ich jemanden mit Turnschuhen die Straße hinuntersprinten und dabei voller Panik keuchen, ehe der Betreffende schließlich um irgendeine ferne Ecke bog, dicht gefolgt von dem Motorrad, vor dem er flüchtete wie ein gehetztes Tier.
Dann herrschte schlagartig Stille.
Mehrere Sekunden vergingen - vielleicht sogar eine halbe Minute -, doch weder der Kerl noch das Motorrad kehrten zurück. Als ich mich schließlich aus der Gasse wagte, war es draußen so dunkel, dass ich nicht mal bis zur nächsten Straßenecke sehen konnte. Was ich aber definitiv als das kleinste der Übel empfand, die an diesem Abend über mich hereingebrochen waren. Schlimmstenfalls irrte ich eine Weile orientierungslos herum, doch sobald ich auf ein öffentliches Telefon stieß, konnte ich Direttor Rossini im Hotel anrufen und ihn nach dem Weg fragen. Auch wenn ich mich verlaufen hatte und völlig am Ende war, würde ihm mein Anliegen zweifellos Freude bereiten.
Erst, nachdem ich ein paar Meter gegangen war, nahm ich vor mir plötzlich irgendetwas wahr. Erschrocken kniff ich die Augen zusammen.
Mitten auf der Straße stand ein Motorrad, und sein völlig regloser Fahrer starrte genau in meine Richtung. In dem Moment kam der Mond wieder hinter den Wolken hervor. Sein Licht spiegelte sich auf dem Helm des Fahrers und dem Metall des Motorrads. Wie ich nun sehen konnte, trug der Mann eine schwarze Lederkluft und hatte das Visier seines Helms heruntergeklappt. Offenbar hatte er ganz geduldig auf seinem Motorrad gewartet, bis ich wieder zum Vorschein kam.
Es wäre eine durchaus normale Reaktion gewesen, bei seinem Anblick Angst zu empfinden, doch während ich ein wenig verlegen mit meinen Schuhen in der Hand vor ihm stand, empfand ich eigentlich nur Verwirrung. Wer war dieser Typ? Und warum saß er nur reglos da und starrte mich an? Hatte er mich tatsächlich vor dem anderen Kerl gerettet? Und wenn ja, erwartete er jetzt von mir, dass ich mich bei ihm bedankte?
Meiner aufkeimenden Dankbarkeit wurde ein jähes Ende gesetzt, als er plötzlich den Scheinwerfer des Motorrads einschaltete und mich mit dem grellen Lichtstrahl blendete. Während ich die Hände vors Gesicht riss, um meine Augen abzuschirmen, startete er und ließ den Motor ein paarmal aufheulen, damit ich wusste, woran ich war.
Immer noch halb blind und über meine Dummheit fluchend wirbelte ich herum und rannte in die andere Richtung. Wer auch immer der Typ sein mochte, ein Freund war er jedenfalls nicht. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um irgendeinen Taugenichts, der seine Nächte immer auf diese erbärmliche Weise verbrachte - indem er herumfuhr und friedliche Leute terrorisierte. Dass sein letztes Opfer zufällig mein Verfolger gewesen war, machte uns beide noch lange nicht zu Freunden.
Er ließ mir ein bisschen Vorsprung und wartete sogar, bis ich um die erste Ecke gebogen war, ehe er die Verfolgung aufnahm. Dabei fuhr er nicht besonders schnell, als wollte er mir Zeit lassen, mich müde zu laufen, aber doch schnell genug, um mir klarzumachen, dass ich ihm nicht entkommen würde.
In dem Moment entdeckte ich die blaue Tür.
Ich war gerade um eine weitere Ecke gebogen und wusste, dass mir nur ein klitzekleines Zeitfenster blieb, um die Gelegenheit zur Flucht zu nützen, bevor mich der Scheinwerfer wieder aufspürte, und da war sie, direkt vor meiner Nase: die blaue Tür, die in das Atelier des Malers führte und wundersamerweise offenstand. Ich verschwendete keinen Gedanken an die Frage, ob es in Siena vielleicht mehrere blaue Türen gab, oder ob es wirklich eine so gute Idee war, mitten in der Nacht in eine fremde Wohnung zu stürmen.
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