Julie oder Die neue Heloise
die nicht aus seinem Blute stammen, vielleicht mit mehr Kindern beladen zu sein, als er gehabt haben würde, und gezwungen, sein Gut mit den Pfändern seiner Unehre zu theilen, für die er kein Vaterherz hat? Nehmen wir an, diese Rechenmeister seien Materialisten; so hat man nur umso mehr Grund, ihnen die süße Stimme der Natur entgegenzuhalten, welche im Grunde aller Herzen gegen eine hochmüthige Philosophie Einspruch erhebt, und die man noch nie mit guten Gründen angreifen konnte. In der That, wenn der Leib allein den Gedanken erzeugt, und das Gefühl lediglich von den Organen abhängt, müssen dann nicht zwei Wesen, die aus einerlei Blute sind, einen engeren Zusammenhang, eine stärkere Zuneigung zu einander haben, und sich der Seele wie dem Gesichte nach ähnlich sehen, was doch ein Hauptgrund ist, sich zu lieben?
Heißt es also, Ihrer Meinung nach, kein Uebles zufügen, wenn man diese naturgemäße Bereinigung durch ein fremdes Blut aufhebt oder stört, und in ihrer Grundlage die gegenseitige Liebe zerrüttet, welche alle Glieder einer Familie an einander ketten soll? Giebt es einen rechtschaffenen Menschen auf der Welt, der nicht einen Abscheu davor hätte, das Kind eines Andern in der Pflege zu verwechseln? und ist das Verbrechen, es im Mutterschoße zu verwechseln, geringer?
Wenn ich mein Geschlecht besonders in's Auge fasse, o, wie viele Uebel gewahre ich in dieser Unordnung, von der sie behaupten, sie füge Niemanden Uebles zu; wäre es auch nur die Versunkenheit des strafbaren Weibes, dem der Verlust der Ehre bald alle übrigen Tugenden raubt! Wie viele nur zu sichere Anzeichen hat ein zärtlicher Gatte von einem Einverständniß, das sie durch seine Heimlichkeit gerechtfertigt glauben, wäre es auch nur, daß er sich nicht mehr geliebt sieht von seiner Frau! Was wird sie mit ihren erkünstelten Aufmerksamkeiten Anderes bewirken, als daß sie nur ihre Gleichgültigkeit desto fühlbarer macht? Läßt sich das Auge der Liebe durch geheuchelte Liebkosungen täuschen? Und welche Marter, einer geliebten Person gegenüber, zu fühlen, daß uns der Arm umschlingt und das Herz uns zurückstößt! Ich nehme an, das Glück unterstütze eine Klugheit, die es schon so oft verrathen hat, ich rechne einen Augenblick für nichts die Verwegenheit, seine vorgebliche Unschuld und die Ruhe des Anderen auf Vorsichtsmaßregeln zu setzen, die der Himmel mit tausend Freuden zu Schanden macht: wie viel Falschheit, wie viel Lügen, wie viel Bübereien, um den verdammlichen Umgang zu bedecken, den Mann zu betrügen, Bediente zu bestechen, die öffentliche Meinung zu hintergehen! Welch ein Skandal für Mitschuldige! welch ein Beispiel für Kinder! was soll aus deren Erziehung werden unter allen den Sorgen, die es macht, eine strafbare Liebe ungestraft zu unterhalten? Was wird aus dem Frieden des Hauses und der Einigkeit seiner Häupter? Wie? In dem Allen wäre der Mann nicht gekränkt? Und was soll ihn denn entschädigen für ein Herz, das ihm hätte angehören sollen? was soll ihm die Frau achtungswerth machen? was soll ihm Ruhe und Sicherheit geben? was ihn von seinem gerechten Argwohn heilen? was dem Vater das Vertrauen geben, daß er einem natürlichen Gefühle folgt, wenn er sein eigenes Kind umarmt?
In Betreff der vorgeblichen Liaisons, welche durch Ehebruch und Untreue zwischen Familien begründet werden können, muß man sagen, daß dies weniger ein ernsthafter Grund als ein dummer und plumper Spaß ist, der statt aller Antwort nur Verachtung und Unwillen verdient. Die Verräthereien, die Händel, die Mordthaten, die Vergiftungen, mit denen diese Unordnung zu allen Zeiten die Erde bedeckt hat, zeigen hinlänglich, was man für die Ruhe und Eintracht der Menschen von einer durch Verbrechen herbeigeführten Freundschaft zu erwarten hat. Wenn eine Art Einigkeit die Folge eines solchen elenden verächtlichen Umgangs ist, so gleicht sie eher der einer Räuberbande, die man ausrotten und vertilgen muß, um die rechtmäßigen Gesellschaften sicher zu stellen.
Ich habe meine Entrüstung über dergleichen Grundsätze zurückzuhalten gesucht, um mich ruhig darüber gegen Sie auszusprechen. Je sinnloser ich sie finde, desto weniger darf ich es verschmähen, sie zu widerlegen, damit ich mich selbst beschäme, wenn ich ihnen vielleicht mit zu wenig Abneigung Gehör gab. Sie sehen, wie schlecht sie die Prüfung der gesunden Vernunft aushalten. Wo aber soll man die gesunde Vernunft suchen als bei Dem, der ihre Quelle ist? und was
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