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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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nicht für den vernünftigen Mann, der seinem Körper eine mäßige Bewegung machen, oder seinem Geist auf Spaziergängen eine Erholung im Gespräche mit seinen Freunden verschaffen will. Die Blumen sind dazu da, um unsern Blick im Vorübergehen zu ergötzen und nicht um so neugierig anatomirt zu werden
[Der kluge Wolmar hat sich das Ding nicht recht besehen. War er, der die Menschen so gut zu beobachten wußte, so ungeschickt in der Beobachtung der Natur? Wußte er nicht, daß ihr Schöpfer, wenn er groß ist im Großen, sehr groß im Kleinsten ist?]
. Sehen Sie hier im Baumgarten ihre Königin überall strahlen; sie erfüllt die Luft mit Wohlgeruch, bezaubert die Augen, und kostet fast keine Pflege und Mühe. Deshalb verachten sie die Blumisten; die Natur hat sie so schön gemacht, daß sie ihr keine übereinkömmlichen Schönheiten hinzufügen können, und da sie sich nicht mit ihrer Pflege zu quälen haben, finden sie nichts daran, was ihnen schmeichele. Der Irrthum Derer, die Leute von Geschmack sein wollen, ist, daß sie überall Kunst verlangen,und nie zufrieden sind, wo sich die Kunst nicht sichtbar macht, während der wahre Geschmack darin besteht, sie zu verbergen, sonderlich wenn es sich um Werke der Natur handelt. Was für einen Sinn haben diese schnurgeraden sandigen Alleen, die man überall und überall antrifft, und diese Sterne, durch welche man, weit entfernt dem Auge die Größe eines Parks zu offenbaren, wie man es sich einbildet, weiter nichts erreicht, als daß man ungeschickt seine Grenzen zeigt? Sieht man denn im Walde Flußsand? Oder wandelt der Fuß sanfter auf solchem Sande, als auf Moos und Rasen? Wendet die Natur unaufhörlich Winkelmaß und Richtschnur an? Ist es nicht, als fürchten diese Leute, daß man sie doch noch irgend wo spüre, trotz aller ihrer Mühe, sie zu verunstalten? Ist es endlich nicht komisch, daß sie, als ob sie des Spaziergangs schon müde wären, wenn sie ihn beginnen, ihn recht geflissentlich in gerader Linie führen, um am schnellsten das Ziel zu erreichen? Ist es nicht, wenn sie den kürzesten Weg nehmen, als ob sie eher eine Reise als einen Spaziergang machten, und sich beeilten, hinauszukommen, kaum daß sie eingetreten sind?
    Was wird also der Mann von Geschmack thun, welcher lebt, um zu leben, welcher sich selbst zu genießen versteht, welcher die wahren und einfachen Freuden sucht, und welcher sich einen Spaziergang nah bei seinem Hause einrichten will? Er wird ihn so bequem und so angenehm machen, daß er sich dort alle Stunden des Tages gefallen kann, und doch so einfach und natürlich, daß nichts gethan scheint. Er wird Wasser, Grünes, Schatten und Kühlung um sich versammeln, denn auch die Natur versammelt alle diese Dinge. Er wird nirgends Symmetrie anbringen, denn diese ist die Feindin der Natur und der Abwechselung, und alle Alleen eines gewöhnlichen Gartens gleichen einander so sehr, daß man immer in dem nämlichen zu sein glaubt; er wird das Terrain zerschneiden, um bequem umherwandeln zu können, aber die beiden Seiten seiner Alleen werden nicht immer genau gleichlaufend geführt sein; die Richtung derselben wird nicht beständig in gerader Linie fortgehen, sondern etwas Schweifendes haben, wie der Gang eines müßigwandelnden und ohne Ziel spazierenden Menschen. Er wird sich nicht abquälen, schöne Durchsichten auszuschneiden. Der Geschmack an Fernblicken entspringt aus dem Hange der meisten Menschen, sich nur da zu gefallen, wo sie nicht sind; sie sind stets begierig nach dem, was entfernt von ihnen ist, und der Künstler, welcher es nicht versteht, sie durch das, was sie umgiebt, hinlänglich zu befriedigen, greift zu jenem Hülfsmittel, um doch etwas zu schaffen, was sie unterhalte. Der Mann aber, den ich meine, hat keine solche Unruhe, und wenn er sich da, wo er ist, wohlbefindet, fällt es ihm nicht ein, wo anders sein zu wollen. Hier z. B. hat man keinen Blick nach außen und man ist sehr zufrieden, daß man keinen hat. Man denkt sich gern, daß alle Reize der Natur hier eingeschlossen sind, und ich möchte sehr fürchten, daß der kleinste Streifblick in's Freie diesem Spaziergang viel von seiner Annehmlichkeit rauben würde
[Ich weiß nicht, ob man es je versucht hat, den langen Alleen eines Sterns eine leichte Krümmung zu geben, sodaß das Auge nicht jede Allee ganz bis an das Ende verfolgen könnte, und dieses dem Beschauer entzogen wäre. Man würde dabei allerdings die Annehmlichkeit der Gesichtspunkte verlieren, aber man würde

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