Julie oder Die neue Heloise
Pflanzen bedeckte Flächen; sie läßt dort jedes Jahr Korn, Hirse, Sonnenblumen, Hanf, Wicken und allerlei Gesäme aussäen, welches dieVögel gern fressen, und es wird nichts davon weggenommen. Außerdem bringen wir ihnen, sie oder ich, fast jeden Tag, Sommers und Winters Futter, und wenn wir nicht da sind, so sorgt Fanchon gewöhnlich für sie. Sie haben, wie Sie sehen, das Wasser dicht dabei. Frau von Wolmar geht in ihrer Aufmerksamkeit so weit, daß sie ihnen jedes Frühjahr Häuschen von Pferdehaaren, Stroh, Wolle, Moos und anderen zum Nestbau geeigneten Stoffen hinlegen läßt. Da sie die Materialien so nah, und reichlich zu leben haben, und bei der Mühe, die man sich giebt, alle Feinde
[Schlafratten, Mäuse, Käuze und besonders die Kinder.]
zu vertreiben, bestimmt sie die beständige Ruhe, deren sie genießen, an einem so bequemen Ort, wo ihnen nichts fehlt, und wo Niemand sie stört, ihre Eier zu legen. So wird das Vaterland der Eltern auch das der Kinder, und die Bevölkerung erhält sich und vermehrt sich.
Ach, sagte Julie, jetzt sehen Sie gar nichts! Jetzt denkt jedes nur an sich; aber unzertrennliche Gatten, das eifrige, häusliche Sorgen, die elterliche Zärtlichkeit, das Alles entgeht Ihnen. Vor zwei Monaten mußte man hier sein, um seine Augen an dem reizendsten Schauspiel zu weiden, und sein Herz an dem süßesten Gefühle der Natur. Madame, antwortete ich traurig, Sie sind Gattin und Mutter; dies sind Freuden, die Sie wohl kennen müssen. Sogleich ergriff Herr von Wolmar meine Hand, drückte sie mir, und sagte: Sie haben Freunde, unddiese Freunde haben Kinder: wie sollte Ihnen die elterliche Liebe fremd sein? Ich sah ihn an, ich sah Julie an; beide sahen einander an, und dann mich mit einem so herzbewegenden Blick, daß ich sie nach einander umarmte, und mit Rührung sagte: Sie sind mir so theuer, als ihr mir seid. Ich weiß nicht, wie wunderlich es zugehen mag, daß ein Wort eine Seele so umwandeln kann; aber von diesem Augenblicke an scheint mir Herr von Wolmar ein anderer Mann, und ich sehe in ihm weniger den Gatten Deren, die ich so sehr geliebt habe, als den Vater zweier Kinder, für die ich mein Leben lassen würde.
Ich wollte um das Bassin herumgehen, um den reizenden Ort und seine kleinen Bewohner näher zu besehen, aber Frau von Wolmar hielt mich zurück. Niemand, sagte sie zu mir, stört sie in ihrer Wohnung, und Sie sind sogar der erste von unseren Gästen, den ich bis hierher geführt habe. Es sind vier Schlüssel zu dem Baumgarten vorhanden, von denen mein Vater und wir beide jeder einen haben. Fanchon hat den vierten, als Aufseherin, und um manchmal meine Kinder herzuführen, eine Gunst, deren Werth dadurch erhöht wird, daß ihnen die größte Behutsamkeit für die Zeit ihres Hierseins eingeschärft ist. Auch Gustin selbst kommt nicht ohne einen von uns Vieren herein; wenn die beiden Frühlingsmonate vorüber sind, in denen hier seine Arbeit von Nutzen ist, fast gar nicht mehr; wir thun dann alles Uebrige selbst. So haben Sie, sagte ich, um Ihre Vögel nicht zu Ihren Sklaven zu machen, sich selbst zu Sklaven jener gemacht. Das ist recht die Rede eines Tyrannen, entgegnete sie, der seiner Freiheit nur so weit zu genießen glaubt, als er die Freiheit Anderer hindert.
Als wir weggehen wollten, warf Herr von Wolmar eine Handvoll Gerste in das Bassin, und da ich hineinsah, bemerkte ich einige Fischchen. Aha, sagte ich sogleich, also doch Gefangene! Ja, sagte er, es sind Kriegsgefangene, denen man das Leben geschenkt hat. So ist es, setzte seine Frau hinzu. Vor einiger Zeit entwandte Fanchon in der Küche einige Bärschchen, welche sie ohne mein Wissen hierher trug. Ich lasse sie hier, um Fanchon nicht zu betrüben, wenn ich die Fische wieder in den See versetzte; denn es ist doch besser, ein paar Fische etwas eng zu behausen, als eine brave Person zu kränken. Sie haben Recht, antwortete ich und diese hier sind nicht zu sehr zu beklagen, daß sie dem Fischkessel um diesen Preis entgangen sind.
Nun, was dünkt Ihnen? sagte sie zu mir auf dem Rückwege.Sind Sie noch am Ende der Welt? Nein, sagte ich, ich bin ganz außerhald ihrer, und Sie haben mich in Wahrheit in's Elysium versetzt. Der pomphafte Name, den sie diesem Baumgarten gegeben hat, sagte Herr von Wolmar, verdient wohl diesen Spott. Schenken Sie indessen einem Kinderspiel immerhin einiges Lob, und bedenken Sie, daß es ihren Mutterpflichten nie etwas entzogen hat. Ich weiß es, entgegnete ich, ich bin vollkommen davon
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