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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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daß er verschiedene Händel in Italien gehabt und sich mehrmals geschlagen hat.
    Ich weiß nicht, was du Harsches in seinen Manieren findest; in der That sind sie nicht entgegenkommend, aber ich bemerke auch nichts Abstoßendes darin. Ob er gleich sich bei erstem Begegnen nicht so offen zeigt, wie sein Herz ist, und die kleinen Gesellschaftsmanieren verachtet, ist er doch darum, wie mir scheint, nicht weniger angenehm im Umgange. Wenn er nicht jene gemessene und wohl berechnete Höflichkeit besitzt, die einzig und allein das Aeußerliche wahrnimmt, und die uns unsere jungen Officiere aus Frankreich mit herüberbringen, so hat er dafür die natürliche und menschliche, welche sich weniger darauf zu Gute thut, auf den ersten Blick den Stand und Rang eines Menschen zu unterscheiden, sondern alle Menschen insgemein achtet. Soll ich es dir ehrlich heraussagen? Der Mangel an Zierlichkeit ist ein Fehler, welchen die Weiber nicht vergeben, selbst dem Verdienste nicht, und ich fürchte, auch Julie ist hier einmal Weib gewesen.
    Da ich mit der Aufrichtigkeit im Zuge bin, so will ich dir noch sagen, meine anmuthige Predigerin, daß es vergeblich ist, meinen Rechten ein Schnippchen schlagen zu wollen, und daß man eine heißhungrige Liebe nicht mit Predigten abspeist. Denke, denke an die versprochenen und schuldigen Entschädigungen, denn alle die Moral, welchedu mir aufgetischt hast, ist sehr gut; aber, was du auch sagen magst, das Chalet war doch noch besser.
     
Sechsundvierzigster Brief.
Von Julie.
    Also immer und immer, Freund, das Chalet! die Geschichte von diesem Chalet liegt dir fürchterlich auf dem Herzen; und ich sehe schon, auf Tod und Leben muß ich dir für das Chalet Rede stehen. Aber ist dir denn ein Ort, wo du nie gewesen bist, so lieb, daß man dich nicht anderwärts dafür entschädigen kann? und kann uns nicht die Liebe, welche Armidens Palast mitten in einer Wüste schuf, ein Chalet in der Stadt zaubern? Höre, Fanchon's Verheirathung steht bevor; mein Vater, der Feste und Prunk nicht ungern hat, will ihr eine Hochzeit ausrichten, bei der wir alle sein werden: diese Hochzeit wird unfehlbar geräuschvoll sein. Schon manchmal hat das Geheimniß seinen Schleier im Schooße der lärmenden Freude und im Tumulte der Feste auszubreiten gewußt. Du verstehst mich, Freund; wäre es nicht süß, in der Frucht unserer Bemühungen die Freuden wiederzufinden, die sie uns gekostet haben?
    Du bist, wie mir scheint, über die Vertheidigung des Milord Eduard unnöthig in Feuer gerathen; ich bin weit entfernt, ungünstig über ihn zu denken. Uebrigens, wie sollte ich über einen Mann ein Urtheil haben, den ich nur einen einzigen Nachmittag gesehen habe? und selbst du, wie kannst du eines haben, da du nur ein Paar Tage mit ihm umgegangen bist? Was ich über ihn sage, habe ich aus Vermuthung, und du kannst ebenfalls nicht viel weiter sein; denn die Vorschläge, welche er dir gemacht hat, sind Anerbietungen der losen Art, womit ein gewisses Ansehen von Macht, das sie sich geben wollen, und die Leichtigkeit, der Erfüllung auszuweichen, Fremde oft freigebig macht. Aber ich erkenne deine gewöhnliche Lebhaftigkeit und was für einen Hang du hast, dich fast im ersten Augenblicke für oder gegen die Leute einnehmen zu lassen. Indessen wollen wir bei Muße die Arrangements, welche er dir vorgeschlagen hat, in Betrachtung ziehen. Wenn die Liebe den Plan begünstigt, mit dem ich umgehe, werden sich vielleicht bessere für uns darbieten. O mein lieber Freund, die Geduld ist bitter, aber ihre Frucht ist süß.
    Um auf deinen Engländer zurückzukommen, ich habe gesagt, er schiene mir von starkem und großem Gemüthe zu sein und mehr einen erleuchteten als einen angenehmen Geist zu haben. Du sagst ungefähr dasselbe; und dann machst du es mir mit jener Miene von männlicher Ueberlegenheit, welche unsere demüthigen Anbeter nie verläßt, zum Vorwurf, daß ich auch einmal meines Geschlechtes gewesen bin; als ob ein Weib je aufhören könnte, es zu sein! Erinnerst du dich wohl, als wir deine Platonische Republik lasen, haben wir über den Punkt der moralischen Verschiedenheit der Geschlechter gestritten. Ich bleibe bei der Meinung, der ich damals war, und kann mir kein gemeinschaftliches Muster der Vollkommenheit für zwei so verschiedenartige Wesen denken. Der Angriff und die Vertheidigung, die Kühnheit des Mannes und die Schamhaftigkeit der Frau sind keine conventionelle Formen, wie deine Philosophen denken, sondern natürliche

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