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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Psalmodie entweiht haben, daß wir so lange für Sprache des Herzens hielten, was weiter nichts war als ein Lärm, die Ohren zu betäuben. O wie Recht hatte dein würdiger Bruder! In welchem seltsamen Irrthum habe ich bisher über die Wirksamkeit dieser bezaubernden Kunst gelebt! ich fühlte die geringe Wirkung und maß dieselbe ihrer Ohnmacht bei. Ich sagte: Musik ist nichts als leerer Klang, der dem Ohre schmeichelt und auf die Seele nur auf einem Umwege und nur schwach wirkt: der Eindruck der Harmonien ist etwas rein Mechanisches, Physikalisches: was hat er mit den Gefühlen zu schaffen? Und warum sollte ich erwarten, von einem schönen Zusammenklang lebhafter bewegt zu werden als von einem schönen Farbenaccord? Ich entdeckte in den Accenten der Melodie, welche sich denen der Sprache anfügen, nicht die mächtige, geheime Verwandtschaft der Leidenschaft mit den Klängen: ich bemerkte nicht, daß die Nachahmung der mannichfaltigen Töne, mit denen die Gefühle die redende Stimme beleben, ihrerseits wieder der singenden Stimme die Macht verleiht, das Herz zu rühren, daß das wirkungsvolle Gemälde der Bewegungen, welche in der Seele dessen vorgehen, der sich vernehmen läßt, eben das ist, worin für die Hörenden der wahre Zauber liegt.
    Dies brachte mir der Sänger, den Milord hatte, zum Bewußtsein, der für einen Musikus auch recht leidlich über seine Kunst zu reden weiß. Die Harmonie, sagte er mir, ist in der nachahmenden Musik nur ein untergeordnetes Nebenmittel; in der Harmonie im eigentlichen Sinne liegt nicht das Prinzip der Nachahmung. Sie sichert allerdings die Intonationen; sie giebt Gewähr für deren Richtigkeit; und indem sie die Modulationen fühlbarer hervorhebt, giebt sie dem Ausdruck mehr Kraft und der Melodie mehr Anmuth. Aber von der Melodie allein geht jene unüberwindliche Macht der leidenschaftlichen Accente aus; von ihr rührt die ganze Gewalt der Musik über die Seele her. Bildet die gelehrtesten Folgen von Accorden ohne melodischen Fortschritt, und ihr werdet nach Verlauf einer Viertelstunde ermüdet sein. Schöne Melodien ganz ohne harmonische Unterstützung sind lange davor sicher, zu ermüden. Lasset den Ausdruck des Gefühls die einfachsten Melodien beleben, und sie werden fesseln. Dagegen eine Melodie, die nicht spricht, singt auch immer schlecht, und die bloße Harmonie hat nie zum Herzen zu sprechen gewußt.
    Hierin, fuhr er fort, liegt die Täuschung der Franzosen über die Kraft der Musik. Da sie in einer Sprache, die ohne Accent ist, keine Melodie haben und haben können, und über einer manierirten Poesie die nie von Natur gewußt hat, wissen sie nicht anders zu wirken als durch reiche Harmonie und brillante Stimmführung, wodurch kein angenehmerer Gesang, sondern nur mehr Getöse erreicht wird; und sie haben mit dem, was sie erreichen wollen, so viel Unglück, daß ihnen sogar die Harmonie selbst, um die es ihnen zu thun ist, entwischt; weil sie es auf Ueberladung absehen, treffen sie keine Auswahl, wissen nichts was Effect macht, machen lauter Ausfüllung; sie verderben sich das Ohr, und haben für nichts mehr Empfindung als für großen Lärm, so daß für sie die schönste Stimme diejenige ist, welche sich am lautesten vernehmen läßt. So haben sie, in Ermanglung eines eigenen Genre, stets nichts gethan, als schwerfällig und von weitem unseren Mustern nachgetreten; und seit ihrem berühmten Lulli, oder vielmehr unserem, der nur die Opern nachbildete, deren Italien zu seiner Zeit schon einen Ueberfluß hatte, hat man sie immer nur, um dreißig, vierzig Jahre hinterher unsere allen Autoren copiren, verderben, und es mit unserer Musik ungefähr so machen sehen, wie es die anderen Völker mit ihren Moden machen. Wenn sie sich ihrer Chansons rühmen, so sprechen sie damit ihre eigene Verdammung aus; wenn sie Gefühle zu singen verstünden, würden sie nicht witzige Einfälle singen. Aber weil ihre Musik nichts ausdrückt, so paßt sie besser für das Chanson als für die Oper; und weil die unsrige durch und durch Leidenschaft ist, so ist sie geeigneter für die Oper als für das Chanson.
    Hierauf recitirte er mir ohne Gesang einige italienische Scenen, und ließ mich die Beziehungen fühlen zwischen der Musik und den Worten im Recitativ, zwischen der Musik und dem Gefühle in der Arie, und überall die Kraft, welche die genaue Maßhaltung und die Auswahl in den Accorden dem Ausdrucke verleibt. Endlich dann, nachdem ich mich außer meiner Bekanntschaft mit der Sprache, so

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