Julie oder Die neue Heloise
Augen, deren unerwartete Blitze mich dann in unvermeidliche Verwirrung stürzten. Kurz ein Etwas, ein Unaussprechliches, Zauberisches, was du über deine ganze Person ausgegossen zu haben schienst, um aller Welt den Kopf zu verrücken, ohne daß du im Mindesten daran zu denken schienst. Ich wenigstens, ich weiß nicht, wie du es anstellst; aber wenn das deine Art ist, sowenig hübsch als möglich zu sein, so sage ich dir, daß es viel mehr ist, als für eine Gesellschaft von Weisen nöthig wäre.
Ich habe große Furcht, daß der arme englische Philosoph auch ein wenig die Wirkung davon verspürt habe. Nachdem wir deine Cousine nach Hause gebracht hatten, und da wir alle noch sehr munter waren, machte er uns den Vorschlag, mit zu ihm zu kommen, um zu musiciren und Punsch zu trinken. Während seine Leute zusammengetrommelt wurden, hörte er nicht auf, von dir mit einem Feuer zu sprechen, das mir gar nicht gefiel, und ich hörte dein Lob in seinem Munde nicht mit so vielem Vergnügen als du das meinige. Im Allgemeinen, gestehe ich, habe ich es nicht gern, wenn Jemand außer deiner Cousine von dir mit mir spricht; es ist mir, als ob jedes Wort mir einen Theil meines Geheimnisses oder meiner Freuden entrisse; und, was sie auch sagen mögen, es liegt entweder ein so verdächtiges Interesse darin, oder es ist so entfernt von dem, was ich fühle, daß ich darüber Niemanden hören mag als mich selbst.
Nicht, daß ich wie du Hang zur Eifersucht hätte. Ich kenne deine Seele besser; ich habe Bürgen, die mir nicht den leisesten Gedanken an eine Veränderung deinerseits erlauben. Nach deinen Versicherungen, sage ich kein Wort mehr über die anderen Bewerber. Aber dieser, Julie! .... eine standesmäßige Lage .... die Vorurtheile deines Vaters .... Du weißt wohl, daß es hier um mein Leben geht; verschmähe es nicht, mir ein Wort darüber zu sagen. Ein Wort von Julie, und ich bin für immer beruhigt.
Ich habe die ganze Nacht italienische Musik gehört oder mitgemacht, denn es kamen auch Duos vor und ich mußte mich daran wagen.
Ich getraue mir noch nicht, dir über die Wirkung, die sie auf mich machte, etwas zu sagen; ich besorge, daß der Eindruck vom gestrigen Souper sich noch auf das erstreckt hat, was ich hörte, und daß ich die Wirkung deines verführerischen Wesens für den Zauber der Musik genommen habe. Warum sollte nicht dieselbe Ursache, die sie mir in Sion langweilig machte, sie mir hier in entgegengesetzter Lage angenehm machen können? Bist du nicht die erste Quelle aller Affectionen meiner Seele? Und bin ich gegen die Nachwirkungen deiner Magie gestählt? Wenn wirklich die Musik den Zauber hervorgebracht hätte, so würde sie ihn ja wohl auf alle Hörer geübt haben. Aber während diese Gesänge mich hinrissen, schlief Herr von Orbe ganz süß in einem Lehnstuhl und mitten unter den Ausbrüchen meines Entzückens begnügte er sich, statt alles Lobes, zu fragen, ob deine Cousine italienisch verstünde.
Morgen soll das alles ins Klare kommen; denn wir haben auf den Abend wieder eine musikalische Zusammenkunft verabredet. Milord will sie vollständig machen, er hat eine zweite Violine von Lausanne bestellt, einen Mann, sagt er, der ziemlich darauf eingespielt ist; ich werde meinerseits französische Scenen, Cantaten und dergleichen mit hinnehmen, und wir werden sehen.
Ich kam in großer Abspannung nach Hause, die von der Ungewohnheit des nächtlichen Schwärmens herrührte, sich aber während des Schreibens verloren hat. Indessen muß ich versuchen, ein paar Stunden zu schlafen. Sei bei mir, süße Freundin; verlaß mich nicht während meines Schlummers; ob aber dein Bild ihn störe oder begünstige, ob es mir Fanchon's Hochzeit vorführe oder nicht, Ein köstlicher Augenblick kann mir nicht entgehen, den es mir bereitet, das Gefühl meines Glückes beim Erwachen.
Achtundvierzigster Brief.
An Julie.
Ach, meine Julie, was habe ich gehört! Welche ergreifende Töne! was für Musik! welch eine köstliche Quelle von Empfindungen und Genüssen! Verliere keinen Augenblick, geschwind, lies alle deine Opern, deine Cantaten, deine ganze französische Musik zusammen; mach' ein großes, recht flackerndes Feuer an, und hinein mit dem ganzen Bettel! aber schüre das Feuer wohl, damit so viel Eis darin verzehrt werden könne und wenigstens einmal dazu diene, warm zu machen. Bringe dieses Sühnopfer dem Gotte des Geschmacks, um dein Verbrechen und das meinige zu büßen, daß wir deine Stimme mit dieser schwerfälligen
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