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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Einrichtungen, über die es leicht ist Rechenschaft zu geben und aus denen sich leicht alle übrigen moralischen Unterschiede ableiten lassen. Da übrigens die Bestimmung beider von Natur nicht die nämliche ist, so müssen sich auch die Neigungen und die Art, wie beide Theile sehen und fühlen, nach verschiedenen Zwecken richten. Es ist nicht dieselbe Richtung der Seele und dieselbe Beschaffenheit des Körpers dienlich zur Bestellung des Ackers und zum Kindersäugen. Der höhere Wuchs, die stärkere Stimme, die ausgeprägteren Züge scheinen zwar keine nothwendige Beziehung zum Geschlechte zu haben; aber die äußerlichen Verschiedenheiten kündigen an, daß der Werkmeister auch geistige Verschiedenheiten beabsichtigte. Ein vollkommenes Weib und ein vollkommener Mann müssen sich in ihrem Wesen nicht ähnlicher sein als in ihrem Aeußeren. Nachäffung des andern Geschlechtes ist der Gipfel der Unvernunft, dem Verständigen ein Gelächter und ein Gegengift der Liebe. Kurz, ich finde, wenn man nicht fünf Fuß sechs Zoll mißt, eine Baßstimme hat und Bart am Kinne, so muß man sich nicht damit abgeben, Mann zu sein.
    Da sieht man, wie ungeschickt die Liebhaber sind, wenn sie Beleidigungen sagen wollen! Du wirfst mir einen Fehler vor, dessen ich mich nicht schuldig gemacht habe oder dessen du dich ebenso schuldig gemacht hast wie ich, und leitest ihn aus einem Gebrechen ab, das mir zur Ehre gereicht. Soll ich, um Aufrichtigkeit mit Aufrichtigkeit zu bezahlen, dir ehrlich heraussagen, was ich von der deinigen denke? Ich finde darin nur ein Raffinement der Schmeichelei; du giebst dir das Ansehen von Freimüthigkeit, um die enthusiastischen Lobeserhebungen,mit denen du mich bei jeder Gelegenheit überschüttest, vor dir selbst zu rechtfertigen. Meine angeblichen Vollkommenheiten verblenden dich dermaßen, daß du, um die Vorwürfe Lügen zu strafen, die du dir im Geheimen über deine thörichte Eingenommenheit machst, nicht Witz genug hast, einen einzigen haltharen gegen mich aufzubringen.
    Glaube mir, du mußt dich nicht damit befassen, mir Wahrheiten zu sagen, du kommst zu schlecht damit zu Stande: sind denn die Augen der Liebe fähig, wie scharf sie auch sonst sind, Fehler zu bemerken? Der reinen Freundschaft steht dieses Amt zu, und darin ist deine Schülerin Clara hundertmal geschickter als du. Ja mein Freund, lobe mich, bewundere mich, finde mich schön, reizend, vollkommen; deine Lobeserhebungen gefallen mir, ohne mich zu verführen, weil ich sehe, daß sie die Sprache des Wahns und nicht der Falschheit sind, und daß du dich selbst täuschest, nicht aber mich täuschen willst. O, wie sind die Vorspiegelungen der Liebe so lieblich! ihre Schmeicheleien sind in gewissem Sinne Wahrheiten; das Urtheil schweigt darin, aber es spricht das Herz. Der Liebhaber, der Vollkommenheiten an uns lobt, die wir nicht besitzen, sieht sie in der That so, wie er sie vorstellt; er lügt nicht, indem er Lügen sagt; er schmeichelt, ohne sich zu erniedrigen, und man kann ihn hochschätzen, ohne daß man ihm zu glauben braucht.
    Ich habe nicht ohne einiges Herzklopfen davon sprechen hören, morgen zwei Philosophen zu Tische zu haben. Der eine ist Milord Eduard, der andere ist ein Weiser, dessen ehrwürdige Haltung manchmal zu den Füßen einer jungen Schülerin ein wenig in Unordnung gerathen ist; solltest du ihn nicht kennen? Ermahne ihn, thu mir den Gefallen, sich zusammenzunehmen, daß er morgen das philosophische Decorum ein Bißchen besser als gewöhnlich beobachte. Ich werde auch die Kleine fleißig erinnern, die Augen niederzuschlagen und sich in den seinigen so wenig hübsch als möglich zu machen.
     
Siebenundvierzigster Brief.
An Julie.
    Ha, Bösewicht! ist das die Vorsicht, die du mir versprochen hattest? So fängst du es an, um mein Herz zu schonen und deine Reize zu verbergen? Lauter Wortbrüchigkeit! Erstlich dein Putz, denn du hattest keinen und du weißt recht gut, daß du niemals gefährlicher bist. Zweitens deine Haltung, so sanft, so bescheiden, so ganz dazu gemacht, daß man alles Aumuthige, was du hast, recht mit Muße bemerke. Dein Sprechen seltener, bedachter, noch geistreicher als gewöhnlich, so daß wir alle auch noch aufmerksamer waren und daß Ohr und Herz jedem Worte entgegenflogen. Diese Arie, die du mit halber Stimme sangst, blos um deinem Gesang noch mehr Lieblichkeit zu geben, und die, wenn gleich französisch, dennoch selbst Milord Eduard gefiel. Dein schüchterner Blick und deine niedergeschlagenen

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