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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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nicht anders fördern kannst, als indem du ihm kein Hinderniß in den Weg legst?
    Ach! Ach! Was wird mir nur diese zu späte Vorsicht nützen? Ist es Zeit, am Rande des Abgrundes seinen Schritt zu hemmen und dem Unglück vorzubeugen, von dem man sich schon ergriffen fühlt? Ach! Unglückliches Mädchen! du darfst auch noch von Glück sprechen! kann es je da sein, wo die Schande und die Gewissensbisse wohnen? O mein Gott! welch ein grausamer zustand, seine Schuld weder ertragen, noch bereuen zu können, belagert von tausend Aengsten, geneckt von tausend eitlen Hoffnungen und nicht einmal der grauenvollen Ruhe der Verzweiflung zu genießen! Ich bin ja nun ganz dem Schicksal allein preisgegeben. Es kann ja von Kraft, von Tugend gar nicht mehr die Rede sein, nur noch von Glück und Vorsicht; und es handelt sich nicht darum, eine Liebe auszulöschen, die solange dauern soll als mein Leben, sondern sie schuldlos zu machen oder schuldig zu sterben. Sieh diese Lage an, mein Freund, und sieh, ob du dich meinem Eifer anvertrauen darfst.
     
Fünfzigster Brief.
Von Julie.
    Ich habe Ihnen gestern, als wir uns trennten, die Ursache der Traurigkeit, welche Sie mir vorgeworfen haben, nicht erklären wollen, weil Sie nicht im Stande waren, mich zu verstehen. Ungeachtet meines Widerwillens gegen Aufklärungen bin ich Ihnen diese schuldig, da ich sie versprochen habe, und ich trage sie hiermit ab.
    Ich weiß nicht, ob Sie sich der wunderlichen Reden erinnern, die Sie gestern Abend gegen mich führten, und der Manieren, womit Sie sie begleiteten: ich werde sie nicht schnell genug für Ihre Ehre und meine Ruhe vergessen können, und zum Unglück bin ich zu sehr davon empört, um sie leicht zu vergessen. Dergleichen Ausdrücke hatten manchmal mein Ohr getroffen, wenn ich am Hafen vorüberging, aber ich glaubte nicht, daß sie je aus dem Munde eines anständigen Mannes kommen könnten; ich bin wenigstens vollkommen gewiß, daß sie nie in das Wörterbuch der Liebessprache Eingang gefunden haben, und ich war weit entfernt zu glauben, daß sie zwischen Ihnen und mir bräuchlich werden könnten. Ei mein Gott! was für eine Art Liebe ist die Ihrige, wenn sie so ihre Freuden würzt! Sie kamen freilich eben von einem langen Schmause und ich sehe wohl, was man hier zu Lande dem Unmaße, das dabei stattfinden kann, zu gute halten muß: dies ist auch der Grund, weshalb ich mit Ihnen darüber rede. Sein Sie überzeugt, daß eine Zusammenkunft unter vier Augen, wo Sie mich bei kaltem Blute so behandelt hätten, die letzte unseres Lebens gewesen wäre.
    Was mich aber Ihretwegen bestürzt macht, ist dies, daß das Betragen eines vom Weine erhitzten Mannes oft nur die Wirkung dessen ist, was zu andern Zeiten im Innersten seiner Seele vorgeht. Soll ich glauben, daß Sie in einem Zustande, in welchem man nichts verhehlt, sich so zeigten, wie Sie sind? Was würde aus mir, wenn Sie bei nüchternem Muthe so dächten, wie Sie gestern Abend sprachen? Lieber, als eine solche Erniedrigung ertragen, würde ich eine so unedle Glut auslöschen und einen Liebhaber verlieren, der, weil er seine Geliebte so schlecht zu ehren weiß, so wenig ihre Achtung verdienen würde. Sagen Sie mir, Sie, Freund des Gesitteten, sollten Sie wirklich in den grausamen Irrthum verfallen sein, daß die glückliche Liebe keine Umstände mehr mit der Scham zu machen habe, und daß man Derkeine Scheu mehr schuldig sei, von der man keine Strenge mehr zu fürchten hat? Ach! wenn Sie immer so gedacht hätten, würden Sie weniger zu fürchten gewesen sein, und ich wäre nicht so unglücklich. Täuschen Sie sich hierin nicht, mein Freund; nichts ist so gefährlich für wahrhaft Liebende, als die Vorurtheile der Welt; so viele Leute sprechen von Liebe, und so wenige wissen zu lieben, daß die meisten deren reine, sanfte Gesetze mit den gemeinen Grundsätzen eines verworfenen Umgangs verwechseln, der, bald von sich selbst gesättigt, zu Ungeheuern der Einbildungskraft seine Zuflucht nimmt, und sich gemein macht, um sich zu behaupten.
    Ich weiß nicht, ob ich mich täusche; aber es scheint mir, daß die wahre Liebe das keuscheste aller Bande ist. Sie ist es, ihr himmlisches Feuer ist es, das unsere Triebe läutern kann, indem es sie gesammelt auf einen einzigen Gegenstand richtet; sie ist es, die uns den Versuchungen entzieht und beweist, daß, diesen einen Gegenstand ausgenommen, das eine Geschlecht nichts mehr für das andere ist. Für eine gewöhnliche Frau ist jeder Mann immer ein Mann; aber

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