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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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für die, deren Herz liebt, giebt es keinen Mann außer ihrem Geliebten. Was sage ich! Ist ein Geliebter nichts weiter als ein Mann? Ach! er ist ein weit erhabeneres Wesen! Es giebt keinen Mann für Die, welche liebt: ihr Geliebter ist mehr, alle Anderen sind weniger; sie und er sind die einzigen ihrer Gattung. Sie haben nicht Begierden, sie lieben. Das Herz folgt nicht den Sinnen, es leitet sie; es bedeckt ihre Abirrungen mit einem köstlichen Schleier. Nein, nichts ist schmutzig, als die Liederlichkeit und ihre gemeine Sprache. Die wahre Liebe, stets bescheiden, reißt keine Gunstbezeigung frech an sich; sie stiehlt sie mit Schüchternheit, Geheimniß, Schweigen, furchtsame Scham steigern und verhüllen ihren süßen Rausch, Ihre Flamme ehrt und reinigt alle ihre Liebkosungen; Anstand und Schicklichkeit begleiten sie im Schooße der Lust selbst und sie allein weiß den Begierden Alles zu bewilligen, ohne der Schamhaftigkeit etwas zu entziehen. Ha, sagen Sie, der Sie die wahren Freuden kannten, wie könnte sich mit ihnen cynische Frechheit gatten? wie sollte ihnen diese nicht ihre Täuschung und allen ihren Reiz rauben? Wie sollte sie nicht das Bild von Vollkommenheit besudeln, unter welchem man sich so gern den geliebten Gegenstand denkt? Glauben Sie mir, mein Freund, Liederlichkeit und Liebe können nicht zusammemwohnen, können sich nicht einmal mit einander abfinden. Das Herz macht das wahre Glück, wenn man sich liebt, und nichts kann dieses ersetzen, sobald man sich nicht mehr liebt.
    Aber wenn Sie auch so unglücklich wären, sich in einer so ungesitteten Sprache zu gefallen, wie haben Sie sich entschließen können, sie so zur Unzeit zu gebrauchen und Der gegenüber, die Ihnen theuer ist, einen Ton und Manieren anzunehmen, die ein anständiger Mann nicht einmal kennen soll? Seit wann ist es süß, Dem wehe zu thun, was man liebt? und was für ein barbarisches Vergnügen liegt darin, mit der Qual Anderer sein Spiel zu treiben? Ich habe nicht vergessen, daß ich das Recht verloren habe, mit Achtung behandelt zu werden; aber wenn ich es je vergäße, steht es Ihnen wohl, mich daran zu mahnen? ziemt es dem Urheber meiner Schuld, mir die Strafe härter zu machen? Ihnen käme es vielmehr zu, mich darüber zu trösten. Die ganze Welt hat das Recht, mich zu verachten, Sie haben es nicht, Sie sind mir Ersatz schuldig für die Demüthigung, zu welcher Sie mich gebracht haben; und so viel Thränen, die ich über meine Schwachheit vergossen habe, verdienten wohl, daß Sie sie mich weniger grausam fühlen ließen. Ich bin weder prüde, noch preciös. Ach, wie weit bin ich davon entfernt, ich, die ich nicht einmal mich zu hüten gewußt habe! Sie wissen es nur zu gut, Undankbarer, ob dieses zärtliche Herz der Liebe irgend etwas versagen kann. Aber wenigstens was es ihr gewährt, will es nur ihr gewähren; und Sie haben mich zu gut Ihre Sprache kennen gelehrt, um diese nun mit einer so ganz anderen vertauschen zu dürfen. Mißhandlungen, Schläge würden mir nicht so schimpflich dünken, als dergleichen Liebkosungen. Entsagen Sie, Julien, oder wissen Sie ihre Achtung zu erhalten! Ich habe es Ihnen schon gesagt, ich kenne keine Liebe ohne Scham; und wenn es mich die Ihrige kosten sollte, es würde mich noch mehr kosten, sie mir um diesen Preis zu erhalten.
    Ich hätte noch viel über diesen Gegenstand zu sagen; aber ich muß diesen Brief schließen und verspare es auf ein anderes Mal. Inzwischen sehen Sie da eine Wirkung Ihrer falschen Grundsätze über den unmäßigen Genuß des Weines. Ihr Herz ist nicht strafbar, dessen bin ich gewiß; dennoch haben Sie das meinige verwundet, und ohne zu wissen, was Sie thaten, haben Sie wie recht mit Willen dieses Herz schmerzlich betrübt, das nur zu leicht in Aufruhr geräth, und dem nichts gleichgültig ist, was von Ihnen kommt.
     
Einundfünfzigster Brief.
Antwort.
    Es ist keine Zeile in Ihrem Briefe, die mir nicht das Blut gerinnen macht, und ich habe Mühe zu glauben, nachdem ich ihn zwanzig Mal gelesen, daß er an mich gerichtet ist. Was? Ich? Ich hätte Julie beleidigt? Ich hätte ihre Reize entweiht? Sie, der ich in jedem Augenblicke meines Lebens Anbetung darbringe, wäre Beschimpfungen meinerseits zum Ziele geworden? Nein! lieber hätte ich mir tausend Mal das Herz durchbohrt, ehe ihm eine so barbarische Absicht nahe gekommen wäre. Ach, wie schlecht kennst du es, dieses Herz, das dich vergöttert, dieses Herz, das fliegt und sich unter jeden deiner Tritte verehrend

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